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Illustrierte Welt.

399

gehen, wo der Diener Wohl schon seit einer Viertel-
stunde mit dem Frühstück auf die Herrschaften wartete.
Herbert bot seiner Mutter den gesunden Arm, während
Jenny sich zutraulich an seine rechte Seite schmiegte.
Margarete aber sand einen Vorwand, noch zurückzu-
bleiben. Sie mußte jetzt allein sein, war es auch
nur auf wenige Augenblicke. Denn ihre Kraft, sich zu
beherrschen, war dem Zusammenbrechen nahe, und nicht
vor den Augen der andern durfte sie den Kampf aus-
kämpfen gegen die fündigen Wünsche und die sträf-
lichen Regungen in ihrem Herzen, deren sie sich erst
in dieser Stunde klar bewußt geworden war, und um
derentwillen sie sich verachtete und verdammte.
Sie legte die Hände über die Augen, und in ihrer
gemarterten Seele schrie es:
„Mein Gott, mein Gott! Wohin wollte ich mich
verirren? Und warum mußte mir diese Prüfung auf-
erlegt werden — auch noch diese?"
Niemals bis zu dem gegenwärtigen Augenblick hatte
sie sich danach gesehnt, daß ihr Gatte zurückkehren
möge. Der zuweilen auftauchende Gedanke an eine
solche Möglichkeit hatte sie vielmehr stets mit Bangen
und Entsetzen erfüllt, und sie hatte ängstlich vermieden,
ihm weiter nachzuhängen, wie ja auch ihre Umgebung
geflissentlich vermied, von Rudolf Aldenhoven und
seiner geheimnisvollen Reise zu sprechen.
Nun aber wünschte sie inbrünstig, daß er heute
oder morgen kommen möge, um sie hinwegzunehmen
aus diesem Hause. Denn es dünkte sie tausendmal
leichter, ein freudloses Dasein an der Seite des un-
geliebten Mannes zu führen, als unter der Maske
wunschloser Freundschaft neben dem Geliebten zu
leben, dem gegenüber sie Wohl ihren Worten und
Blicken, doch nimmermehr ihren sündigen Gedanken
gebieten konnte. Entsetzung folgt.)

Zum achtzigsten Geburtstag des Prinz-
Regenten Kuitpold von Payern.
(Porträt S. 393.)
In seltener Rüstigkeit des Körpers und des Geistes
tritt der Prinz-Regent Luitpold von Bayern in das neunte
Jahrzehnt seines Lebens. Seiner schlichten Sinnesart
gemäß hat er auf alles prunkvolle Feiern verzichtet und
das freudige Mitgefühl seines Volkes in die Bahnen wohl-
thätiger Stiftungen gelenkt, die seinen Namen tragen
sollen — ein Denkmal, dauernder als Erz. Prinz Luit-
pold ist am 12. März 1821 in Würzburg geboren als der
zweite Sohn des damaligen Kronprinzen, späteren Königs
Ludwig I. von Bayern. Schon im Alter von vierzehn
Jahren trat er in die Artillerie ein, ward 1. November
1839 Oberstinhaber des 1. bayrischen Artillerieregiments
und 1846 Regimentskommandeur. Er bereiste dann die
Mittelmeerländer und vermählte sich mit der Prinzessin
Auguste von Toskana, die ihm 1864 durch den Tod ent-
rissen avurde. Sein Bruder König Maximilian II. er-
nannte ihn 30. März 1848, wenige Tage nach seiner
Thronbesteigung, zum Generalleutnant der Artillerie und
Corpskommandeur; am 6. Juni 1861 wurde er Feld-
zeugmeister bei der Generalinspektion der bayrischen Armee.
Im Krieg von 1866 war Prinz Luitpold an Stelle des
bei Kissingen gefallenen Generals Freiherrn von Zoller
Kommandeur der 3. Division und kämpfte bei Oberaltheim
gegen die preußischen Truppen, wofür er mit dem Groß-
kreuz des bayrischen Militärverdienstordens ausgezeichnet
wurde. Am 8. Januar 1869 wurde er zum General-
inspekteur der bayrischen Armee ernannt. Den Krieg
von 1870,71 machte er im deutschen Hauptquartier mit.
Am 30. März 1876 wurde er Generalfeldzeugmeister der
bayrischen Armee mit dem Rang eines Feldmarschalls.
Nachdem er schon seit Jahren immer häufiger die
Stellvertretung des Königs Ludwig II. hatte üben müssen,
nötigte ihn dann dessen offenkundige geistige Erkrankung
im Jahre 1886 zur Uebernahme der Regierung mit der
verfassungsmäßigen Bezeichnung „des Königreichs Bayern

„O," meint Franziska, „man ist auch verzweifelt
wenig, wenn man weiter nichts ist, als ehrlich. —Wilhelm
war ein andrer Mensch!" Und nun kommt das Straf-
gericht, in Justs trocken-spöttischer Erzählung davon,
was aus dem „guten" Wilhelm und den ' anderen
allzugewandten Dienern seines Herrn geworden ist:
der eine ist mit dem Gepäck durchgebrannt; der zweite
sitzt wegen Beihilfe zur Desertion; der dritte ist als
Pferdedieb „verschwemmt" worden, und der vierte hängt
wohl schon am Galgen oder, nach Justs sinnigem Aus-
druck: „er ist Trommelschläger bei einem Garnison-
regiment geworden." — „Es waren wohl alles Ihre
guten Freunde, Jungfer? Der Wilhelm und der
Philipp, der Martin und der Fritz? — Nun, Just
empfiehlt sich!" —Franziska sieht ihm ernsthaft nach:
„Ich verdiente den Biß! — Ich bedanke mich. Just.
Ich setzte die Ehrlichkeit zu tief herab. — Ich will
die Lehre nicht vergessen." —
Als Lessings Lustspiel zuerst im Triumph über
die deutschen Bühnen zog, da klang für manche gut
bürgerlichen Zuschauer noch ein besonderer neu-
artiger, — man dürfte fast sagen: revolutionärer Ton
in dieser Scene mit. Denn mehrere Jahrhunderte
lang hatte das selbstbewußte Bürgertum der deutschen
Städte mit dem Begriffe der vollen „Ehrlichkeit" noch
einen andern Sinn verknüpft als der Reitknecht Just
und die von ihm bekehrte Kammerjungser in dem
neuen Stück des Magisters Lessing.
Gesetzlich ist heutzutage jene Anschauung bis
auf die letzten Spuren beseitigt; sprachlich lebt sie
noch in zahlreichen Wendungen fort, die großen-
teils ohne die Erinnerung an sie ganz unverständlich
bleiben oder mißverständlich gebraucht werden. Wenn
unsereiner sich heutzutage in einer schwermütigen Stunde
nur noch nach einem „ehrlichen Begräbnis" sehnt, so
gebraucht er das Beiwort entweder als bloßen Rede-
schmuck oder allenfalls im Sinne der kirchlichen Ehren;
es hatte aber einen weit schwerer wiegenden Inhalt
in einer Zeit, als es noch Hunderte von Unglücklichen
gab, deren Bahre kein „ehrlicher" Totengräber an-
fassen mochte, um nicht durch die „Unehrlichkeit" des
Berufs, dem der Tote bei Lebzeiten angehört hatte,
angesteckt zu werden. Wenn wir im heiteren Gespräch
von uns oder einem anderen versichern: „arm, aber
ehrlich!" so meinen wir das „Aber" scherzweise, —
natürlich; denn wir sind doch nicht im Ernste so un-
gerecht, zu glauben, daß ein Armer leichter unehrlich
sei als ein Reicher, und auch nicht so thöricht, uns zu
rühmen, weil wir niemals silberne Löffel gestohlen
haben. Vor zweihundert Jahren aber, und noch um
einiges später, stand es beispielsweise einem armen
reichsstädtischen Schneiderlein gar Wohl an, daß es
etwa einem reichen Leineweber als letzten Trumpf sein
„Arm aber ehrlich!" hinwars. Denn das arme Schnei-
derlein war einer ehrsamen, wenn auch vielfach „an-
geödeten" Zunft Meister, mit den Leinewebern aber
stand es in dieser Beziehung ziemlich bedenklich.
Die bürgerlichen Zunstgenossen ließen sich durch
die Grundlehre des Christentums, daß wir alle Gottes
Kinder sind, nicht abhalten, eine ganze Reihe von Be-
rufen in — Verrüfe zu verwandeln, deren Betrieb
mehr oder minder unehrlich, ja im ärgsten Falle erblich
unehrlich machte, — womit denn fast die Entsetzlichkeit
des indischen „Kastenwesens" erreicht war.
Sehr wunderlich ist nun dieser Kreis zusammen-
gesetzt — zumal im 16. und 17. Jahrhundert, wo sich
mit der zunehmenden Verknöcherung des Zunftwesens
auch seine Unduldsamkeiten immer häßlicher entwickeln.
Die Naumburger „ehrsamen" Zünfte nehmen in jener
Zeit niemand als Lehrjungen, Gesellen oder Meister —
das heißt also als Bürger für jetzt oder künftig — auf,
„der von Schäfers-, Lautenschlägers-, Leinewebers-oder
andrer leichtfertiger Art ist." Umfänglicher

Verweser". Man erwarlele damals vretfach eine Aende-
rung in der inneren Politik des Landes. Aber der Prinz-
Regent, den Parteikämpfen abhold, zog es vor, in den
bewährten Bahnen unparteiischer Regierung das friedliche
Gedeihen des Landes zu fördern, das ihm an seinem
achtzigsten Geburtstag einstimmig den Wunsch noch einer
langen Herrschaft entgegenbringt.

Unehrlich.
Von
Srnst Mueklenöach.
(AAor einiger Zeit wohnte ich im Theater einer
deutschen Mittelstadt der Vorstellung von Les-
sings „Minna von Barnhelm" bei. Und wie-
der konnte ich wie bei früheren Vorstellungen den
ganz besonderen Eindruck einer Scene beobachten, —
jener Scene, in welcher der grobe Prachtmensch Just
dem schnippischen Kammerkätzchen ein moralisches Priva-
tissimum liest. „Ich möchte doch wissen, was Sein
Herr an Ihm fände!" sagt Franziska; und Just ant-
wortet: „Vielleicht findet er, daß ich ein ehrlicher

lautet die Liste in Hamburg; dort nimmt man keinen,
der von „Feldmüllern, Schäfern, Badstövern (das ist
Badstub - Haltern), Lotterern (das heißt Taschenspielern,
Gauklern und so weiter), Pfeifern und Bassunern (Posau-
nern)" abstammt. Die Goldschmiede, eine der vor-
nehmsten Zünfte aller Orten und Zeiten, nahmen nirgend-
wo in Deutschland einen Leinewebersohn zum Lehr-
ling an, — also gewiß erst recht keinen Sprößling
der in noch höherem und höchstem Grade unehrlichen
Berufes wie etwa Spielleute, „Lotterer" oder gar
Nachrichter. Der letzteren Unehrlichkeit war überhaupt
vom 16. Jahrhundert an so groß und selbstverständlich,
daß sie in Listen wie den vorstehenden völlig übergangen
werden. Dagegen findet sich in Hamburg und andern
niedersächsischen Städten auch das Verbot, keinen
„Wenden" aufzunehmen. Das erinnert an das Gesetz
baltischer und auch ostdeutscher Pflanzstädte — wie
zum Beispiel Thorn, — die von jedem künftigen
Vollbürger den Nachweis seiner beiderseitigen rein-
deutschen Ahnen forderten, — eine Aeußerung des
nationalen Selbstbewußtseins, die inmitten der
Aeußerungen zünftiger Voreingenommenheit wohl-
thuend berührt und jedenfalls besser zu achten ist, als
wenn sich heutzutage irgendwo ein deutscher Schumann
seinen slavischen Kunden, Nachbarn, Schwägern und

Wählern zuliebe in einen talmipolnischen Szumann
verwandelt.
Müller, Leineweber, Schäfer, Hirten, Bader, Taschen-
spieler, Musikanten, Schauspieler, — Schinder; dazu
noch hie und da eine Reihe seltener „Berufsgenossen":
Türmer, Straßenkehrer, Nachtwächter; — es scheint
aus den ersten Blick fast unmöglich, einen gemeinsamen
Grund des zünftigen Vorurteils gegen so verschieden
strebende Mitchristen zu finden. Doch ist es dem ver-
dienstvollen Geschichtschreiber der „unehrlichen Leute",
dem Hamburger Ur. Beneke, auf dessen Studien jede
Erörterung dieser Dinge heutzutage vielfach zurückgreifeu
muß, gelungen, einen Gesichtspunkt zu finden, unter
dem sich die Sache immerhin wesentlich aufhellt. Er
fand ihn in dem Grundsätze des altdeutschen Ehren-
rechtes: „Unehrlich wird, wer Gut für Ehre nimmt,"
das heißt wer um Gewinnstes willen etwas übernimmt;,
was der Selbstachtung eines freien Mannes widerstrebt.
In der That erklärt sich von diesem Grundsätze
aus unschwer die „Unehrlichkeit" einer Anzahl der
genannten Berufe, — so der umherziehenden „Spiel-
leute" im weitesten Sinne, der „Badstüber," mit deren
Gewerbe allerhand „knechtische" Dienste verbunden waren,
und die auch vielfach im Rufe standen, leichtfertigen
Leuten Vorschub und Unterschlupf zu leisten, ferner
der Schinder und so weiter, — überhaupt aller derer,
die im höchsten Grade als „unehrlich" galten. Schwerer
hält es, aus ihm die leichtere „Unehrlichkeit" der
Müller, Leineweber, Schäfer und so weiter abzuleiten.
Beneke meint, daß diese Gewerbe als unehrlich galten,
weil in ihnen die Gelegenheit, unvermerkt zu be-
trügen, besonders groß gewesen sei. Zweifellos spricht
sich dieses Vorurteil auch in manchen Satzungen und
zum Teil noch heute gangbaren Redensarten aus; indes
kamen doch bei jedem der genannten Berufe noch be-
sondere Gründe hinzu. Die Veruntreuung eines Teils
von anvertrautem Gute nennt man noch hie und da
„möllern", was eigentlich das dem Müller zustehende
Zurückbehalten eines Teils von dem für seine Auftrag-
geber gemahlenen Mehl bedeutet; — man nahm eben
an, daß der Müller diese Provision leicht zü reichlich
bemäße. Daher das Sprichwort „Müllers Hennen" oder
„Müllers Schweine werden fett". In Ulm durfte ein
Müller nur drei Schweine halten; in Hamburg seit
1577 weder Schwein noch Huhn noch — Schafe. Es
ist aber anzunehmen, daß der Vater des Vorurteils
in diesem Falle sehr ost der Neid war, — eine wohl-
privilegierte Erbmühle war eben ein sehr einträglicher
Besitz; und zum Neid gesellte sich angesichts so mancher
unheimlich und einsam gelegenen Wassermühle der
Aberglauben. Noch kann man in den verschiedensten
Gegenden Deutschlands solche „Teufelsmühlen" finden
und sich in schaurigen Ortssagen die Erklärung des
Namens geben lassen. Ich selbst besitze unter meinen
Vorfahren einen Erbmüller — er war Zeitgenosse Vol-
taires und anscheinend selber für seine Landsleute
etwas zu sehr Freigeist dessen Bündnis mit dem
Höllenfürsten noch henke bei allen alten Weibern unsers
Heimatthales eine ausgemachte Sache ist, und wenn
ich die Mühle meiner Ahnen besuche, so lasse ich mir
allemal das Fenster zeigen, durch das der Böse seinen
sündigen Schuldner schließlich „geholt" hat. Von den
Säcken voll Dukaten, die er ihm vorher zur Mühle ge-
bracht haben soll, ist leider nichts auf den Ururenkel
gekommen.
Die Verdachtsgründe wider die Leineweber werden
in einem bekannten Kommersliede mit ehrenrühriger
Deutlichkeit ausgeführt. Scharfsinnig bemerkt Beneke,
daß dieses Gewerbe es um so schwerer hatte, da seine
Kundschaft die Frauen waren, die im allgemeinen
leichter an Betrug seitens ihrer Lieferanten glauben
und ihn noch weniger verzeihen als unser leichtsinniges
Geschlecht. Doch möchte ich den guten Frauen nicht
alle Schuld aufbürden, — wenigstens in manchen Städten
dürfte zur Geringschätzung der Leineweber ebensosehr
der zünftische Uevermut ihrer glücklicheren Kollegen
vom animalischen Bekleidungsstoff mitgewirkt haben.
Von dem Reichtum der mittelalterlichen Wollenweber
in manchen deutschen Städten zeugen noch jetzt Sprich-
wörter wie „Er sitzt in der Wolle" oder „er ist reich
wie ein kölnischer Tuchmacher". Waren doch diese
„kölnischen Tuchmacher" im 14. Jahrhundert so stark
an Zahl und Vermögen, daß sie 1372 versuchen konnten,-
im offenen Bürgerkampse die Herrschaft über die Stadt
an sich zu reißen, — was denn freilich nach einer
mörderischen Straßenschlacht zu ihrer Niederlage und
zur Verbannung von 1800 (!) „Tuchmachern" führte,
die ins Bergische auswanderten und den Grund zur
dortigen Tuchindustrie legten. — Neben einer so mäch-
tigen Zunft ist die gedrückte Stellung der „armen
Leineweber" wohl begreiflich.
Müllern und Leinewebern gemeinsam lag es in
manchen Gegenden ob, das „unehrliche Gerät" — nämlich
den Galgen im Bedarfsfälle auszurüsten. Von solch
bedenklicher Servitut blieben die Schäfer als vereinzelte
und umherziehende Leute frei, obzwar im übrigen
ihre bürgerliche „Unehrlichkeit" nicht geringer und
allgemein anerkannt war. Bei ihnen wirkten außer
 
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