Illustrierte Welt.
bitter ein. „Du bist klug und hust dich bereits um-
gesehen, wcu du uns als Stellvertreter sür dich ins
Haus schicken kannst/'
„Allerdings, liebe Mutter, und ich glaube deshalb
keinen Tadel zu verdienen. Wir kennen uns schon von
der Schulbank her. Gustav ist ein tüchtiger energischer
Kaufmann geworden und wird dem Geschäft jedenfalls
mehr Liebe entgegenbringen, als ich das jemals im
stände wäre."
„Wir brauchen aber keine fremden Leute im Ge-
schäft."
„Ich möchte euch doch bitten, die Sache zu über-
legen. Jetzt muß ich aber fort. Gute Nacht!"
„Kannst du denn niemals zu Hause bleiben?"
fragte vorwurfsvoll der Vater.
„Ich habe mich verabredet," entschuldigte sich Hans.
„Und dann habe ich jetzt so viel und so verständig über
das Geschäft geredet, wie seit Monaten nicht, daß ich
notwendig noch irgend welchen Unsinn mit anhören
muß. — Gute Nacht!"
Als er draußen nach Hut und Mantel griff, dachte
er bei sich: ,Es ist zu dumm; wenn man seine Eltern
lieb hat und sich recht rücksichtsvoll benehmen möchte,
benimmt man sich doch gewöhnlich am allerungeschicktesten.
So ein richtiges Herzensrauhbein ist darin entschieden
viel glücklicher und hat immer das eleganteste Be-
tragen/
Wie sich die Thüre hinter Hans geschlossen hatte,
füllten sich Mutter Völkels Augen mit Thränen. Ihr
Schmerz war echt, sic hatte ihrem Sohne die Not-
wendigkeit einer Wohnung mit Nordlicht nicht geglaubt,
und ein Gefühl bitterer Unzulänglichkeit überkam sie.
Denn sie empfand cs auf einmal recht deutlich, wie
fremd sie dem Herzen des Sohnes geworden war, und
daß ihre Art Mutterliebe mit all ihrer Mühe und
Sorge, recht viel für die Kinder zu erwerben, bei ihm
wohl nie das richtige Verständnis finden würde. Nun
klagte sie über die Mühsal des Geschäftslebens und
über die Undankbarkeit der Kinder und sagte schließ-
lich : „Am besten wäre es schon, ich legte mich unter
die Erde!"
Tante Hedwig erklärte diese Worte für gottlos,
Vater Martin suchte seine Frau durch gutmütiges
Händestreicheln zu beruhigen, und Meta meinte in
etwas schmollendem Tone:
„Das ist recht unrecht, Mütterchen, wenn du so
sprichst. Wir wollen doch lieber das garstige Geschäft
verkaufen und uns in einer hübschen Villa zur Ruhe
setzen."
Sogleich überwand Frau Völkel ihren Schmerz,
und während noch einige Thränen über die rötlichen
Wangen herabrollten, entgegnete sie lebhaft:
„Dazu ist später immer noch Zeit, Meta. Aber ehe
dein guter Vater aus dem Laden gehen kann, muß er
erst noch ein gewisses Ziel erreicht haben, damit er
mit Ehren und der gehörigen Anerkennung zurücktritt!"
Meta schien das nicht eiuzuleuchten, und sie er-
widerte: „Ach, wer weiß, wie lange das dauert, ehe
sic den Vater so sehr anerkennen. Und wenn schon;
davon habe ich doch nichts. So lange wir das offene
Ladengeschäft haben, was doch gar nicht chic ist, kriege
ich nie einen Leutnant zum Mann. Das ist mal ganz
sicher."
Frau Völkel reckte sich stolz: „Aber je länger wir
den Laden haben, Kind, um so größer wird auch deine
Mitgift. Und um so größer wird dann auch die Aus-
wahl, die du unter den Leutnants hast."
„Mir ist aber Einer recht bald viel lieber, als
später, wenn ich aus dem Schneider bin, eine ganze
Auswahl."
Tante Hedwig fand diese Worte ebenso gottlos, wie
vorhin den Todeswunsch der Mutter Völkel, und Vater
Martin, der schweigend dagesessen hatte, meinte: „Tas
wird sich ja alles finden. Vorderhand werden wir
uns wohl zunächst darein finden müssen, daß uns der
HanS aus dem Hause geht. Was meinst du, Mutter?"
„Es wird natürlich wieder jeden Monat so und
so viel mehr kosten. Aber wenn du nun einmal die
Gewohnheit hast, dem Jungen jeden Gefallen zu thuu,
da müssen wir wohl oder übel das Opfer bringen."
Es erfolgte nun ein mehrmaliges gegenseitiges An-
gähnen. Vater Völkel gähnte am geräumigsten, Mutter
Völkel am ausdrucksvollsten, Tante Hedwig am häufig-
sten und Meta nur hin und wieder aus unwillkür-
lichem Nachahmungstrieb. Dieses Gähnen wurde, wie
jeden Abend, etwa fünf bis zehn Minuten fortgesetzt,
dann begab sich die ganze Familie znr Ruhe und
schnarchte.
Jedes Familienglied schnarchte auf seine Art. Beim
Vater Pfiff es, bei der Mutter seufzte es, bei der Tante
raschelte es schüchtern, und bei Meta schnarchte es gar
nicht, weil sie noch nicht schlief, sondern der ebenso
schädlichen, wie süßen Gewohnheit huldigte, im Bette
uoch etwas zu lesen. Zu diesem Zwecke hatte sie sich
vorher aus Hansens Büchern einen ebenso schädlichen,
Ivie süßen französischen Roman ausgesucht.
Denn Meta Ivar ein aufgewecktes Mädchen und
hatte sür schöngeistige Geschichten viel mehr Verständ-
nis, als für Stollen und Pfefferkuchen und das ganze
sür eine junge Dame so unpassende Ladengeschäft.
*
Ueber das Weihnachtsfest waren schon ein paar
Tage hingegangen, und die Weihnachtsfreude war ver-
rauscht.
Es giebt zwar überall kindliche Gemüter, die ein
Fest noch wochenlang hinterher genießen können. Solche
Leute sind sogar im stände, sich ihr Leben lang an
dem zu freuen, was sie früher einmal empfangen haben,
und heiter aus das zu verzichten, was ihnen das Schick-
sal nun einmal nicht geben will. Und so herrschte
auch jetzt noch in einigen Häusern und manchen Herzen
eine Stimmung, als ob das Leben dazu da sei, sich
gegenseitig lieb zu haben und sich Freude zu machen.
Vernünftige Leute aber geben sich mit solchen
leichtfertigen Träumereien nicht ab, sondern nach an-
gemessen geleisteter Festfreude nehmen sie alsbald unter
Kummer und Sorgen den Kampf mit dem Ernst des
Lebens von neuem aus.
Zu diesen vernünftigen Leuten gehörten auch Völkels.
Das Weihnachtsgeschäft war so gut gegangen, wie nie,
und abgearbeitet hatten sie sich dabei, wie es eigentlich
über Menschenkräfte geht. Ihre rastlose Thäiigkeit
war rührend anznsehen, und nur, wer selbst Geschäfts-
mann ist, kann die Freudigkeit begreifen, mit der sich
die braven Leute für ihr Geschäft ausopferten. Es ist
nicht wahr, daß der Kaufmann nur durch die nackte
Geldgier zu seiner Arbeit getrieben wird. Der Glanz
seiner Firma, der gute Klang seines kaufmännischen
Namens sind die idealen Güter, die ihm mit Recht
nicht weniger am Herzen liegen, als dem Gelehrten
die Entdeckung einer neuen naturwissenschaftlichen
Wahrheit. Das meiste an Aufopferung hatte Frau
Völkel geleistet; sogar von der ursprünglich beabsich-
tigten Einstellung eines Schreibers hatte sie schließlich
abgesehen.
„Die Arbeit wird nicht so schlimm sein," hatte sie
gesagt, „und wenn unser Hans durch seine Malerei
abgehalten ist, die Kleinigkeit zu verrichten, so bringe
ich als Mutter gern das Opfer, das bißchen Schreiberei
für ihn zu übernehmen."
So hatte sie sich denn die ganze Zeit über abge-
rackert und, zu deren lebhaftem Mißvergnügen, auch
Meta gezwungen, sich tüchtig an der allgemeinen Auf-
opferung zu beteiligen. Sogar die gute Tante Hedwig
blieb von der Aufopferung nicht verschont; denn wenn
Frau Völkel spät abends völlig erschöpft und abge-
spannt nach Hause kam, verlangte sie die allervor-
sichtigste und sorgfältigste Behandlung.
An Weihnachtsarbeit hatte es also nicht gefehlt.
Dem hatte aber auch die aufgewendete Festfreude reich-
lich entsprochen. Völkels waren wohl sparsam, aber
durchaus nicht geizig und hätten es sich niemals nach-
sagen lassen, das heilige Weihnachtsfest etwa schofel zu
begehen.
Die Eltern hatten sich gegenseitig wieder mit einigen
Prunkmöbeln erfreut, durch welche der bescheidene Ein-
druck ihres kleinbürgerlichen Hausrates etwas gehoben
werden sollte; aber auch Tante Hedwig und die Kinder-
waren reichlich bedacht worden. Die gute alte Tante
schämte sich rechtschaffen über die kostbare Wäsche, die
sie empfangen hatte. Meta sah ihre prächtigen Kleider-
stoffe nur als Abschlagszahlung auf zu erwartende
Bälle und sonstige Geselligkeiten an, und Hans war
natürlich über die auf seinem Platze liegende schriftliche
Erlaubnis einer eigenen Wohnung weit mehr erfreut,
als über den Spazierstock mit goldenem Knopf, das
Dutzend buntseidener Schlipse in Tapetenmustern und
sonstige Herrlichkeiten.
Die größte Ueberraschung aber war ein Bild ge-
wesen, das Hans den Eltern gemalt hatte. Es war
dreiteilig. Das große Mittelfeld stellte das Innere
des Ladens dar, rechts mit dem Durchblick auf die
Kaffeezimmer, links mit der Ladentasel, hinter welcher
Mutter Völkel mit großer Würde und Freundlichkeit
ihres Amtes waltete. Das rechte Seitenfeld zeigte den
Vater in rüstiger Thätigkeit an den Backöfen, und das
linke Feld gab eine Außenansicht des Geschäftes von
der Straße aus.
Sehr liebevoll und zum Teil recht drollig waren
die Typen der verschiedenen Käufer und Kaffeegäste
wiedergegeben. Auch die vielgeschmähte schöne Leönore
belebte wohlgetroffen den Hintergrund. Ihr goldrotes
Haar und drei Gläser Schlagsahne, die sie in der
Hand trug, hoben sich kräftig aus dem Halbdunkel des
Hinteren Kaffeezimmers ab.
Meta hatte sofort alle Figuren des Mittelbildes
mit der bangen Furcht gemustert, sich etwa auch als
dienende Ladenjungfrau darauf zu entdecken. Aber sie
fehlte. Hans hatte ihre Gefühle richtig erkannt und
sie geschont.
Mutter Völkel war zwar ein wenig enttäuscht, daß
das Gesicht der Frau Gräfin von Meerbach unter den
Gästen fehlte. Im übrigen aber waren die Eltern
beide herzlich über das Bild erfreut und wußten den
Fleiß und die Liebe Wohl zu würdigen, die ihr Junge
aus das Werk verwandt hatte.
411
Ihr Erstaunen freilich konnten sie nicht unter-
drücken, daß Hans im stände gewesen war, ohne Atelier
und ohne die so sehnlich und notwendig verlangte
Wohnung mit Nordlicht dies große Gemälde zu voll-
enden. Denn angesichts dieser Thatsache schien ihnen
die nun bereits gewährte Erfüllung seines Wunsches
recht überflüssig zu sein.
Hans löste diesen rätselvollen Widerspruch jedoch
mit der offenen Erklärung, daß er sich in der Hoffnung
auf nachträgliche Genehmigung die Wohnung bereits
vorher gemietet und schon täglich ein paar Stunden
in Benützung genommen hatte, um dieses Bild fertig
zu stellen.
Er hatte sich bei den Eltern seines früheren Schul-
kameraden Gustav Kronemann ein sehr hübsches, möb-
liertes Zimmer genommen und beabsichtigte, sich nun-
mehr dort auch in Kost zu geben.
Herr Ernst Kronemann war Oberkellner in einer
feinen Weinwirtschaft, und seine Sparsamkeit bei seinem
schönen Einkommen hatte es ihm ermöglicht, seinen
Söhnen eine gute Erziehung zu geben. Der ältere,
Heinrich, hatte studiert und stand eben in der ärztlichen
Staatsprüfung. Der jüngere, Gustav, hatte sich aber
dem Wunsche des Vaters, auch „etwas Besseres" zu
werden, nicht gefügt. Er hatte es aus dem Gymnasium
nicht lange ausgehalten, war Kaufmann geworden und
bezog jetzt als Angestellter eines Bankhauses bereits
ein ganz ansehnliches Einkommen.
(Fortsetzung folgt.)
Die MirllMe in Uiederösterreich.
(Blld S. 40S.)
Die nordöstlichen Ausläufer der Ostalpen enthalten
trotz ihrer verhältnismäßig geringeren Erhebung manches
landschaftliche Glanzstück, das nur deshalb weniger be-
kannt ist, weil die Konkurrenz in den Alpen so reich be-
stellt ist. Immerhin vermögen die Mirafälle oberhalb
Pernitz selbst ein verwöhntes Auge zu befriedigen. Von
Wiener-Neustadt führt die Schneebergbahn in ihre nächste
Nähe, von Mättendorf ab ist der Weg dem Wasser ent-
lang gangbar gemacht. Ueber bemooste Felsblöcke stürzt
brausend der Wildbach und bildet zahlreiche kleine Wasser-
fälle, deren Gischt den Wanderer bespritzt, der auf schmalem
Pfad neben oder aus Brücken über dem Wasser sich empor-
windet. Den schönsten Anblick gewähren die Fälle im
Frühjahr zur Zeit der Schneeschmelze oder nach einem
ergiebigen Regenfall. Oberhalb derselben befindet sich
das Türkenloch, eine geräumige Höhle mit zwei Aus-
gängen ; hier sollen in den unruhigen Zeiten der Türken-
einfälle die Bauern der Gegend eine sichere Zuflucht ge-
sunden haben.
Süditalienische Volkstrachten.
Von
ZS. Körstek.
Atit elf Abbildungen noch photographischen Aufnahmen.
Fronenlracht von der Insel Procida
(Gols von Neapel).
in Italien schwinden die
WA malerischen Volkstrachten leider
immer mehr; indessen haben sie sich
in dem weniger von der Kultur und
dem Zuge der Zeit erreichten Süden
weit zahlreicher erhalten als in Ober-
italien. Eine Ausstellung von achtzig
verschiedenen Trachten
aus den südlichen Pro-
vinzen des Königreichs
konnte man, dank den
Bemühungen des Cav.
Schettino, an den
Tagen vom 21. bis
81. Juli des ver-
gangenen Jahres in
der schönen Villa Na-
zionale zu Neapel be-
wundern. Bei dieser
Gelegenheit sind die
trefflichen photogra-
phischen Aufnahmen
gemacht, die ivir heute
barbieren. Auf den
ersten Blick bemerkt
man, daß man es nicht
mit einer Maskerade
zu thun hat. Man sieht es den sämtlichen, verschiedenen
Volksstämmen angehörenden Landleuten an, daß sie es
noch gewöhnt sind, jene Trachten zu tragen. Ta ist nichts
Gekünsteltes, sondern alles macht den Eindruck der Echt-
heit, obwohl diese Dörfler von ihrem heimatlichen Boden
losgerissen und zum Teil vor den gleichen Hintergrund
oder an eine Säule und einen Wiener Stuhl gestellt sind,
wie es sie in den sardischen und in den albanesischen
Dörfern Kalabriens schwerlich giebt.
Albanesischer Abstammung ist das Paar aus San
Martino di Finita in der Provinz Cosenza.
Cosenza! Bei diesem Namen denkt man unwillkürlich
an Graf Platens stimmungsvolles Lied:
„Nächtlich oni Bnscnto lispeln bei Cosenza dumpse Lieber,
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder —"
bitter ein. „Du bist klug und hust dich bereits um-
gesehen, wcu du uns als Stellvertreter sür dich ins
Haus schicken kannst/'
„Allerdings, liebe Mutter, und ich glaube deshalb
keinen Tadel zu verdienen. Wir kennen uns schon von
der Schulbank her. Gustav ist ein tüchtiger energischer
Kaufmann geworden und wird dem Geschäft jedenfalls
mehr Liebe entgegenbringen, als ich das jemals im
stände wäre."
„Wir brauchen aber keine fremden Leute im Ge-
schäft."
„Ich möchte euch doch bitten, die Sache zu über-
legen. Jetzt muß ich aber fort. Gute Nacht!"
„Kannst du denn niemals zu Hause bleiben?"
fragte vorwurfsvoll der Vater.
„Ich habe mich verabredet," entschuldigte sich Hans.
„Und dann habe ich jetzt so viel und so verständig über
das Geschäft geredet, wie seit Monaten nicht, daß ich
notwendig noch irgend welchen Unsinn mit anhören
muß. — Gute Nacht!"
Als er draußen nach Hut und Mantel griff, dachte
er bei sich: ,Es ist zu dumm; wenn man seine Eltern
lieb hat und sich recht rücksichtsvoll benehmen möchte,
benimmt man sich doch gewöhnlich am allerungeschicktesten.
So ein richtiges Herzensrauhbein ist darin entschieden
viel glücklicher und hat immer das eleganteste Be-
tragen/
Wie sich die Thüre hinter Hans geschlossen hatte,
füllten sich Mutter Völkels Augen mit Thränen. Ihr
Schmerz war echt, sic hatte ihrem Sohne die Not-
wendigkeit einer Wohnung mit Nordlicht nicht geglaubt,
und ein Gefühl bitterer Unzulänglichkeit überkam sie.
Denn sie empfand cs auf einmal recht deutlich, wie
fremd sie dem Herzen des Sohnes geworden war, und
daß ihre Art Mutterliebe mit all ihrer Mühe und
Sorge, recht viel für die Kinder zu erwerben, bei ihm
wohl nie das richtige Verständnis finden würde. Nun
klagte sie über die Mühsal des Geschäftslebens und
über die Undankbarkeit der Kinder und sagte schließ-
lich : „Am besten wäre es schon, ich legte mich unter
die Erde!"
Tante Hedwig erklärte diese Worte für gottlos,
Vater Martin suchte seine Frau durch gutmütiges
Händestreicheln zu beruhigen, und Meta meinte in
etwas schmollendem Tone:
„Das ist recht unrecht, Mütterchen, wenn du so
sprichst. Wir wollen doch lieber das garstige Geschäft
verkaufen und uns in einer hübschen Villa zur Ruhe
setzen."
Sogleich überwand Frau Völkel ihren Schmerz,
und während noch einige Thränen über die rötlichen
Wangen herabrollten, entgegnete sie lebhaft:
„Dazu ist später immer noch Zeit, Meta. Aber ehe
dein guter Vater aus dem Laden gehen kann, muß er
erst noch ein gewisses Ziel erreicht haben, damit er
mit Ehren und der gehörigen Anerkennung zurücktritt!"
Meta schien das nicht eiuzuleuchten, und sie er-
widerte: „Ach, wer weiß, wie lange das dauert, ehe
sic den Vater so sehr anerkennen. Und wenn schon;
davon habe ich doch nichts. So lange wir das offene
Ladengeschäft haben, was doch gar nicht chic ist, kriege
ich nie einen Leutnant zum Mann. Das ist mal ganz
sicher."
Frau Völkel reckte sich stolz: „Aber je länger wir
den Laden haben, Kind, um so größer wird auch deine
Mitgift. Und um so größer wird dann auch die Aus-
wahl, die du unter den Leutnants hast."
„Mir ist aber Einer recht bald viel lieber, als
später, wenn ich aus dem Schneider bin, eine ganze
Auswahl."
Tante Hedwig fand diese Worte ebenso gottlos, wie
vorhin den Todeswunsch der Mutter Völkel, und Vater
Martin, der schweigend dagesessen hatte, meinte: „Tas
wird sich ja alles finden. Vorderhand werden wir
uns wohl zunächst darein finden müssen, daß uns der
HanS aus dem Hause geht. Was meinst du, Mutter?"
„Es wird natürlich wieder jeden Monat so und
so viel mehr kosten. Aber wenn du nun einmal die
Gewohnheit hast, dem Jungen jeden Gefallen zu thuu,
da müssen wir wohl oder übel das Opfer bringen."
Es erfolgte nun ein mehrmaliges gegenseitiges An-
gähnen. Vater Völkel gähnte am geräumigsten, Mutter
Völkel am ausdrucksvollsten, Tante Hedwig am häufig-
sten und Meta nur hin und wieder aus unwillkür-
lichem Nachahmungstrieb. Dieses Gähnen wurde, wie
jeden Abend, etwa fünf bis zehn Minuten fortgesetzt,
dann begab sich die ganze Familie znr Ruhe und
schnarchte.
Jedes Familienglied schnarchte auf seine Art. Beim
Vater Pfiff es, bei der Mutter seufzte es, bei der Tante
raschelte es schüchtern, und bei Meta schnarchte es gar
nicht, weil sie noch nicht schlief, sondern der ebenso
schädlichen, wie süßen Gewohnheit huldigte, im Bette
uoch etwas zu lesen. Zu diesem Zwecke hatte sie sich
vorher aus Hansens Büchern einen ebenso schädlichen,
Ivie süßen französischen Roman ausgesucht.
Denn Meta Ivar ein aufgewecktes Mädchen und
hatte sür schöngeistige Geschichten viel mehr Verständ-
nis, als für Stollen und Pfefferkuchen und das ganze
sür eine junge Dame so unpassende Ladengeschäft.
*
Ueber das Weihnachtsfest waren schon ein paar
Tage hingegangen, und die Weihnachtsfreude war ver-
rauscht.
Es giebt zwar überall kindliche Gemüter, die ein
Fest noch wochenlang hinterher genießen können. Solche
Leute sind sogar im stände, sich ihr Leben lang an
dem zu freuen, was sie früher einmal empfangen haben,
und heiter aus das zu verzichten, was ihnen das Schick-
sal nun einmal nicht geben will. Und so herrschte
auch jetzt noch in einigen Häusern und manchen Herzen
eine Stimmung, als ob das Leben dazu da sei, sich
gegenseitig lieb zu haben und sich Freude zu machen.
Vernünftige Leute aber geben sich mit solchen
leichtfertigen Träumereien nicht ab, sondern nach an-
gemessen geleisteter Festfreude nehmen sie alsbald unter
Kummer und Sorgen den Kampf mit dem Ernst des
Lebens von neuem aus.
Zu diesen vernünftigen Leuten gehörten auch Völkels.
Das Weihnachtsgeschäft war so gut gegangen, wie nie,
und abgearbeitet hatten sie sich dabei, wie es eigentlich
über Menschenkräfte geht. Ihre rastlose Thäiigkeit
war rührend anznsehen, und nur, wer selbst Geschäfts-
mann ist, kann die Freudigkeit begreifen, mit der sich
die braven Leute für ihr Geschäft ausopferten. Es ist
nicht wahr, daß der Kaufmann nur durch die nackte
Geldgier zu seiner Arbeit getrieben wird. Der Glanz
seiner Firma, der gute Klang seines kaufmännischen
Namens sind die idealen Güter, die ihm mit Recht
nicht weniger am Herzen liegen, als dem Gelehrten
die Entdeckung einer neuen naturwissenschaftlichen
Wahrheit. Das meiste an Aufopferung hatte Frau
Völkel geleistet; sogar von der ursprünglich beabsich-
tigten Einstellung eines Schreibers hatte sie schließlich
abgesehen.
„Die Arbeit wird nicht so schlimm sein," hatte sie
gesagt, „und wenn unser Hans durch seine Malerei
abgehalten ist, die Kleinigkeit zu verrichten, so bringe
ich als Mutter gern das Opfer, das bißchen Schreiberei
für ihn zu übernehmen."
So hatte sie sich denn die ganze Zeit über abge-
rackert und, zu deren lebhaftem Mißvergnügen, auch
Meta gezwungen, sich tüchtig an der allgemeinen Auf-
opferung zu beteiligen. Sogar die gute Tante Hedwig
blieb von der Aufopferung nicht verschont; denn wenn
Frau Völkel spät abends völlig erschöpft und abge-
spannt nach Hause kam, verlangte sie die allervor-
sichtigste und sorgfältigste Behandlung.
An Weihnachtsarbeit hatte es also nicht gefehlt.
Dem hatte aber auch die aufgewendete Festfreude reich-
lich entsprochen. Völkels waren wohl sparsam, aber
durchaus nicht geizig und hätten es sich niemals nach-
sagen lassen, das heilige Weihnachtsfest etwa schofel zu
begehen.
Die Eltern hatten sich gegenseitig wieder mit einigen
Prunkmöbeln erfreut, durch welche der bescheidene Ein-
druck ihres kleinbürgerlichen Hausrates etwas gehoben
werden sollte; aber auch Tante Hedwig und die Kinder-
waren reichlich bedacht worden. Die gute alte Tante
schämte sich rechtschaffen über die kostbare Wäsche, die
sie empfangen hatte. Meta sah ihre prächtigen Kleider-
stoffe nur als Abschlagszahlung auf zu erwartende
Bälle und sonstige Geselligkeiten an, und Hans war
natürlich über die auf seinem Platze liegende schriftliche
Erlaubnis einer eigenen Wohnung weit mehr erfreut,
als über den Spazierstock mit goldenem Knopf, das
Dutzend buntseidener Schlipse in Tapetenmustern und
sonstige Herrlichkeiten.
Die größte Ueberraschung aber war ein Bild ge-
wesen, das Hans den Eltern gemalt hatte. Es war
dreiteilig. Das große Mittelfeld stellte das Innere
des Ladens dar, rechts mit dem Durchblick auf die
Kaffeezimmer, links mit der Ladentasel, hinter welcher
Mutter Völkel mit großer Würde und Freundlichkeit
ihres Amtes waltete. Das rechte Seitenfeld zeigte den
Vater in rüstiger Thätigkeit an den Backöfen, und das
linke Feld gab eine Außenansicht des Geschäftes von
der Straße aus.
Sehr liebevoll und zum Teil recht drollig waren
die Typen der verschiedenen Käufer und Kaffeegäste
wiedergegeben. Auch die vielgeschmähte schöne Leönore
belebte wohlgetroffen den Hintergrund. Ihr goldrotes
Haar und drei Gläser Schlagsahne, die sie in der
Hand trug, hoben sich kräftig aus dem Halbdunkel des
Hinteren Kaffeezimmers ab.
Meta hatte sofort alle Figuren des Mittelbildes
mit der bangen Furcht gemustert, sich etwa auch als
dienende Ladenjungfrau darauf zu entdecken. Aber sie
fehlte. Hans hatte ihre Gefühle richtig erkannt und
sie geschont.
Mutter Völkel war zwar ein wenig enttäuscht, daß
das Gesicht der Frau Gräfin von Meerbach unter den
Gästen fehlte. Im übrigen aber waren die Eltern
beide herzlich über das Bild erfreut und wußten den
Fleiß und die Liebe Wohl zu würdigen, die ihr Junge
aus das Werk verwandt hatte.
411
Ihr Erstaunen freilich konnten sie nicht unter-
drücken, daß Hans im stände gewesen war, ohne Atelier
und ohne die so sehnlich und notwendig verlangte
Wohnung mit Nordlicht dies große Gemälde zu voll-
enden. Denn angesichts dieser Thatsache schien ihnen
die nun bereits gewährte Erfüllung seines Wunsches
recht überflüssig zu sein.
Hans löste diesen rätselvollen Widerspruch jedoch
mit der offenen Erklärung, daß er sich in der Hoffnung
auf nachträgliche Genehmigung die Wohnung bereits
vorher gemietet und schon täglich ein paar Stunden
in Benützung genommen hatte, um dieses Bild fertig
zu stellen.
Er hatte sich bei den Eltern seines früheren Schul-
kameraden Gustav Kronemann ein sehr hübsches, möb-
liertes Zimmer genommen und beabsichtigte, sich nun-
mehr dort auch in Kost zu geben.
Herr Ernst Kronemann war Oberkellner in einer
feinen Weinwirtschaft, und seine Sparsamkeit bei seinem
schönen Einkommen hatte es ihm ermöglicht, seinen
Söhnen eine gute Erziehung zu geben. Der ältere,
Heinrich, hatte studiert und stand eben in der ärztlichen
Staatsprüfung. Der jüngere, Gustav, hatte sich aber
dem Wunsche des Vaters, auch „etwas Besseres" zu
werden, nicht gefügt. Er hatte es aus dem Gymnasium
nicht lange ausgehalten, war Kaufmann geworden und
bezog jetzt als Angestellter eines Bankhauses bereits
ein ganz ansehnliches Einkommen.
(Fortsetzung folgt.)
Die MirllMe in Uiederösterreich.
(Blld S. 40S.)
Die nordöstlichen Ausläufer der Ostalpen enthalten
trotz ihrer verhältnismäßig geringeren Erhebung manches
landschaftliche Glanzstück, das nur deshalb weniger be-
kannt ist, weil die Konkurrenz in den Alpen so reich be-
stellt ist. Immerhin vermögen die Mirafälle oberhalb
Pernitz selbst ein verwöhntes Auge zu befriedigen. Von
Wiener-Neustadt führt die Schneebergbahn in ihre nächste
Nähe, von Mättendorf ab ist der Weg dem Wasser ent-
lang gangbar gemacht. Ueber bemooste Felsblöcke stürzt
brausend der Wildbach und bildet zahlreiche kleine Wasser-
fälle, deren Gischt den Wanderer bespritzt, der auf schmalem
Pfad neben oder aus Brücken über dem Wasser sich empor-
windet. Den schönsten Anblick gewähren die Fälle im
Frühjahr zur Zeit der Schneeschmelze oder nach einem
ergiebigen Regenfall. Oberhalb derselben befindet sich
das Türkenloch, eine geräumige Höhle mit zwei Aus-
gängen ; hier sollen in den unruhigen Zeiten der Türken-
einfälle die Bauern der Gegend eine sichere Zuflucht ge-
sunden haben.
Süditalienische Volkstrachten.
Von
ZS. Körstek.
Atit elf Abbildungen noch photographischen Aufnahmen.
Fronenlracht von der Insel Procida
(Gols von Neapel).
in Italien schwinden die
WA malerischen Volkstrachten leider
immer mehr; indessen haben sie sich
in dem weniger von der Kultur und
dem Zuge der Zeit erreichten Süden
weit zahlreicher erhalten als in Ober-
italien. Eine Ausstellung von achtzig
verschiedenen Trachten
aus den südlichen Pro-
vinzen des Königreichs
konnte man, dank den
Bemühungen des Cav.
Schettino, an den
Tagen vom 21. bis
81. Juli des ver-
gangenen Jahres in
der schönen Villa Na-
zionale zu Neapel be-
wundern. Bei dieser
Gelegenheit sind die
trefflichen photogra-
phischen Aufnahmen
gemacht, die ivir heute
barbieren. Auf den
ersten Blick bemerkt
man, daß man es nicht
mit einer Maskerade
zu thun hat. Man sieht es den sämtlichen, verschiedenen
Volksstämmen angehörenden Landleuten an, daß sie es
noch gewöhnt sind, jene Trachten zu tragen. Ta ist nichts
Gekünsteltes, sondern alles macht den Eindruck der Echt-
heit, obwohl diese Dörfler von ihrem heimatlichen Boden
losgerissen und zum Teil vor den gleichen Hintergrund
oder an eine Säule und einen Wiener Stuhl gestellt sind,
wie es sie in den sardischen und in den albanesischen
Dörfern Kalabriens schwerlich giebt.
Albanesischer Abstammung ist das Paar aus San
Martino di Finita in der Provinz Cosenza.
Cosenza! Bei diesem Namen denkt man unwillkürlich
an Graf Platens stimmungsvolles Lied:
„Nächtlich oni Bnscnto lispeln bei Cosenza dumpse Lieber,
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder —"