Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Viertel, wo das Spital ist. Ich würde mich beim
Ausbrechen einer Epidemie zu Tode fürchten!" Daß
aber gerade der Bestand eines ganzen Viertels um das
Spital her die Ungefährlichkeit desselben beweist, daran
denkt diese Dame nicht. — Nicht zu viel dreinreden
lassen!
Eine Bekannte von mir, Witwe eines Offiziers,
erregte einen Sturm von Entrüstung und Widerspruch,
als sie sich ein in einem Garten gelegenes, aber äußer-
lich unscheinbares Hinterhäuschen zum Wohnen aus-
suchte.
„Wie kannst du eine solch unpassende Wahl treffen?
Der Besitzer des Vorderhauses ist ein reich gewordener
Krämer, und du, eine Dame von Distinktion, in seinem
Rückgebäude! .. . Man wird dich zusammenrechnen mit
kleinen Leuten, die derartig wohnen! . . . Wie willst du
deinen Freunden zumuten, dich künftig hier zu besuchen,
und wie willst du deine Kinder standesgemäß erziehen,
wenn du so wenig Rücksicht auf die bestehende Sitte
nimmst?"
Die Betreffende ließ sich aber nicht beirren, sie
wußte, was sie wollte. Das kleine Hinterhaus im
Grünen mit den freundlichen Zimmern, mit den be-
scheidenen, aber genügenden Nebengelassen, die ihr ganz
allein gehörten, mit der Stille und Ruhe, die dort
herrschten, war ihr tausendmal lieber als ein Teil
jener großen sashionablen Mietshäuser, wo der Haus-
zins auch für ein bescheidenes Logis bedeutend teurer
gewesen wäre. Was kümmerte sie es, ob die Tapeten
etwas unmoderner, die Fensterscheiben weniger sein,
die Stubenböden von weißem Holz waren. Mit Liebe
und Geschmack eingerichtet, sah das Ganze doch gut
aus, wie ja überhaupt jeder Bewohner seiner Be-
hausung das Siegel aufdrückt, das er selber führt.
Dem reich gewordenen Hausbesitzer und seiner Frau
imponierte die ganze Art der Mieterin der allerdings
geringsten seiner Wohnungen so, daß sie beide tiefere
Bücklinge vor ihr machten als vor den Bewohnern des
ersten Stockes. Und was das standesgemäße Erziehen
der Kinder dieser Dame anbelangte, so verwendete sie
die Summe, die sie am Hauszins gegenüber einer
teureren Wohnung ersparte, zu gründlicher Ausbildung
derselben. In dem kleinen eignen Reich, was sie ihnen
bereitet, hatte sie Verkehr und Umgang in der Hand, und
die Gelegenheit zu Bewegung und Spiel war so reich-
lich vorhanden, daß auch ohne Reisen und Sommer-
frischen, die nicht möglich gewesen wären, die Kinder
prächtig gesund und frisch emporwuchsen. Diese Frau
wußte eben genau, was sie wollte!
„Das Schönste ist doch, ein eignes Haus zu besitzen,
da wird einem nicht gekündigt, da giebfis kein Wohnungs-
suchen, da kann man sich einrichten, wie man will,"
sagen die meisten Menschen. Aber wer selber eins hat,
weiß, daß neben all den obigen Vorteilen auch viele
Kehrseiten sind, die manchen, der anfangs im Gefühl,
Hausbesitzer zu sein, geschwelgt hat, dazu brachten, daß
er sich seines Lebens erst recht freute, als er wieder,
wie einst, in der Miete saß.
Eigentum bringt Sorge, und es liegt eine, wenn
auch etwas drastische Wahrheit in dem bekannten Aus-
spruch von den zwei glücklichen Tagen, die der habe,
der ein Haus erwerbe und wieder glücklich an den
Mann bringe. In gewissen Fällen mag's ja so sein,
und aus eigner Erfahrung möchte ich denen, die viel-
leicht neidisch sind aus Häuserbesitzende und die sich mit
dem Gedanken eines Kaufs tragen, leise ins Ohr sagen:
„Ueberlegt wohl, was ihr thut, und bedenkt, daß
unter Umständen .nicht mehr ausziehen können' schlim-
ist als .ausziehen müssen'! Macht auch keine falschen
Berechnungen, indem ihr nur an die Einnahmen denkt
und nicht an die großen Ausgaben, die ein Haus ver-
ursacht !"
„Alles das. Was ich kaufen will, ist noch neu, da
vergehen Jahre, bis etwas bemacht werden muß!"
Das ist eben das Unrichtrge, was ein jeder glaubt!
Ein Haus mag noch so neu sein, als es will, so kommen
in kurzem Reparaturen, veranlaßt durch Nässe, durch
Kälte, Wünsche etwaiger Mietsparteien, durch Ein-
und Auszug, und wer diesen nicht willfährig ist, der
behält seine Wohnungen leer, und wer nicht die kleinen
Schäden sofort wieder Herstellen läßt, der hat im Hand-
umdrehen große. Es fallen mir ein paar Beispiele ein:
Da ist aus der Plattform Wäsche aufgehängt worden.
Ein kleiner Lappen oder ein Stück Papier fliegt in die
Rinne. Es wird nicht weiter beachtet, aber beim nächsten
Regen oder Schnee ist ein Hindernis da, das Wasser
kann nicht weiter, es staut sich, läuft am Haus her-
unter, und in wenig Minuten ist die schön bemalte
Vorderseite verwischt und verdorben. O diese Rinnen!
Oder es war kalt. Du hast pünktlich angeordnet,
daß sämtliche Hahnen der Wasserleitung fest geschlossen
bleiben, und du bist auch glücklich über die schlimme
Zeit hinübergekommen. Aber am ersten Tautage glaubt
dein Mädchen nun die Gefahr beseitigt, läßt die
Vorsicht außer acht, und ein kleiner, winziger Riß
entsteht an der Röhre durch Wechsel der Kälte und
der Wärme. Er ist kaum sichtbar, aber im Hand-
umdrehen quillt ein nicht zu hemmender Strahl heraus,

Illustrierte Welt.

— wohl dir, wenn es gleich bemerkt wird und Hilfe
zur Hand ist! Im andern Fall ist aber der Boden
deiner schönen Küche, sie mag so nagelneu sein, wie
sie will, ruiniert, und der darunter befindliche Plafond
desgleichen.
Was alles kann doch über einen ahnungslosen
Hausbesitzer kommen! Von der entdeckten Ableitungs-
unfähigkeit des Blitzableiters, von Ratten, oder Druck-
wasser im Keller, von durch Dienstboten eingeschlepptem
Ungeziefer in den Kammern, was die halbe Apotheke
und endloses Anstreichen bedingt, will ich gar nicht
reden, auch nicht von den Kaminen, die nicht ziehen,
„weil eben die Sonne gerade scheint", und „weil eben
ein Wind geht", oder „weil Regen und Nebel halt
drücken". All diese Sachen kann man noch zu den
Unannehmlichkeiten rechnen. Ein bedeutend wider-
wärtigeres Kapitel ist das mit den Oefen und Herden,
die bekanntlich fast nie so ausfallen, wie man sich's
gewünscht hatte. Entweder geben sie zu heiß, daß man
alle Fenster aufreißen und beständig zwischen Erkäl-
tung und Geröstetwerden steht, oder ein prachtvoller
Salonosen spendet, in vornehmer Kühle, trotz rasender
Kohlenopfer, die man ihm bringt, unbewegt nur zehn
Grad Röaumur, oder die Gas- und Petroleumösen
riechen, und die Dauerbrenner explodieren. Alles sehr
viel durch Schuld der sie Behandelnden, aber wer will
diese eines andern belehren? Unendlich peinlich und
ungeahnt kostspielig können auch die Verhandlungen
mit jenen gewissen Männern sein, die unterirdisch
arbeiten, und denen man im gewöhnlichen Leben aus
ästhetischen Gründen gern aus dem Wege geht. Ihre
Hilfe ist trotzdem in manchen Fällen hochwichtig, wo
— auch dies kann bei dem neuesten Hause Vorkommen —
falsche Kanalisation oder Anlage sich durch unliebsame
Düste bemerklich machen, oder wenn im Unverstand
Dinge hineingeworfen und gezwängt werden, welche
die Röhren verstopfen.
Und nun gar die Sorgen, welche ein Hausbesitzer
hat, der vermietet! Ich mußte schon ost in der Stille
lachen, wie rasch sich der Standpunkt ändert, wenn
aus einem Mietenden ein propriölaire wurde! Vorher
heißt es beständig in gewissem, fast feindseligem Ton:
„Zu was zahle ich die hohe Miete, der Hausherr
muß einfach mir dies und jenes machen lassen, das
kann ich verlangen!" Und dieses Verlangen geht ost
recht bis an die Grenze dessen, was billig ist.
Und nun dreht sich die Sache plötzlich um, und die
kühlste, diplomatischte, fast mißtrauische Reserve tritt
ein gegenüber denen, die bei uns eingemietet haben.
Wenn dies nur überhaupt schon der Fall ist! Aber
da hat man ein Haus mit teurem Geld, vielleicht mit
Schulden darauf, gekauft, alles hübsch neu, so wie
man's verlangen kann, hergerichtet, und nun kommen
fremde Menschen, laufen, ohne viel Worte zu machen,
in deinem Eigentum herum, besehen und beschnüffeln
es, stellen die taktlosesten Fragen, kritisieren auf die
liebloseste Weise, handeln mit dir, als ob du ein
Schacherjude wärest, und so du nicht thust, was sie
wollen, laufen sie einfach wieder weg, und deine Woh-
nung bleibt leer stehen. Oder aber du hast nach-
gegeben, ihr habt euch geeinigt, es sind vielleicht ganz
nette Leute, die du hereinbekommst, und du freust
dich im stillen darüber. Aber auch die nettesten
Mieter werden dem Hausherrn gegenüber zuzeiten un-
bequem sein. Nach deinem guten Geschmack wurde das
Eßzimmer hübsch braun tapeziert, sie wünschen es
blau. Du dachtest dir für Wohnzimmer und Salon
zusammen einen Dauerbrenner, sie wollen gerade hier
schlafen mit einem kleinen eisernen Ofen, und der
schöne, ganz neu gemauerte muß wieder weggerissen
werden. Desgleichen der Herd in der Küche, da ja
bekanntlich jede Frau nur den Herd für möglich er-
klärt, den sie gewohnt ist. Der eine Boden, der hell,
soll dunkel gestrichen werden, die Thür wo möglich
schwarz, „weil die Möbel so sind", und aus der Speise-
kammer soll ein Badezimmer, aus diesem eine Garde-
robe gemacht werden. Du thust alles, nur um zufrieden-
zustellen und um für längere Zeit dann Ruhe zu haben.
Aber da kann es dir Vorkommen, daß nach einem halben
Jahr aus irgend einem Grunde gekündigt wird, und
die folgende Partei will den gemauerten Ösen just
wieder an der früheren Stelle, Baderaum und verlegte
Wasserleitung da, wo sie hingehörte, und sie findet die
blaue Tapete und die schwarze Thür horribel, was
ihnen nicht einmal Übelzunehmen ist.
Der schwerste Schlag für einen Hausbesitzer — und
der tritt oft ein — ist der, wenn ihm sein Anwesen,
sein Haus verbaut wird, die Aussicht, die er gehabt,
genommen, die Fenster, die ins Freie gesehen, ver-
dunkelt und sein Gärtchen oder Hofraum unbrauchbar
gemacht worden durch irgend ein großes Gebäude, wo
möglich mit Fabrikbetrieb, Rauch und Gerassel.
Mit all solchem ist zu rechnen bei Erwerb eines
Hauses, und daher die vielen nachherigen Enttäuschungen,
und ich malte absichtlich mit etwas starken Farben, weil
viele doch gar so leichtsinnig einen Kauf abschließen und
solche Möglichkeiten aus sich nehmen.
Aber nun soll auch noch von den Freuden eines

643

eignen Besitzes geredet werden, von den großen An-
nehmlichkeiten eines ererbten, erworbenen oder selbst-
erbauten Hauses. Das erstere ist wohl das idealste.
Wo Eltern, ja vielleicht Voreltern schon gewohnt, da
durchzieht den Wohnsitz ein Geist gemeinsamer Familien-
überlieferung, — es ist ein erprobtes, berechtigtes, ge-
weihtes Heim.
Von den Wänden tönen liebe Worte,
An den Räumen haftet, was dereinst geschehn;
Leise knarrt, erinnrungsvoll, die alte Pforte,
Kindersüße hör' ich trippelnd gehn.
Lauschend möcht' von dem, wie's damals war, ich träumen.
Wiederfinden, was die Welt verweht, — verweht!
Vaterhaus, in deinen teuern Räumen
Kommt es über mich wie ein Gebet!
„Im eignen Haus — Trägt das Sammeln sich
aus." — „Kisten und Kasten — Können hier rasten."
— „Im Hos, der mein eigen, — Kann ich singen und
geigen." — „Im eignen Nest — Hält der Nagel fest."
Das sind alles bekannte Sprichwörter und drücken den
Stolz und das Behagen am Besitz aus. Herr sein und
sich nicht unterordnen müssen, alles nach eignem Ge-
schmack haben, wissen, daß jeder Nagel, den man
schlägt, bleibt, jede Verschönerung und Verbesserung,
die man anbringt, voraussichtlich für lange ist, und
volle Freiheit der Bewegung für sich und die Kinder
haben, das sind unschätzbare Vorteile. Und dabei ge-
denke ich noch an etwas, das nicht wesentlich, aber
immerhin schön ist! Wer sein Leben lang in der Miete
wohnt, wie die meisten Menschen, dem ist es nie ver-
gönnt, lieben alten Dingen einen Raum zu gestatten.
Unbarmherzig muß immer wieder bei jedem neuen Um-
zug gesichtet und hergegeben werden, und auf die nächste
Generation überkommen so selten mehr Erinnerungs-
gegenstände von einst! Keine Wiege mehr mit ver-
blichenem Bogentuch, in der Vater und Mutter geruht,
keine Spielsachen mehr, mit denen die Onkel und Tanten
sich vergnügt, keine geheimnisvolle Kiste mit alten, ver-
gilbten Papieren, kein Schränkchen mit den lieben
einstigen Schulbüchern und Heften, keine alten, aus-
rangierten, aber doch so interessanten Koffer, Kinder-
wägelchen, Puppenstuben, Lehnstühle! Was ist's um
solch eine weite, gute, geräumige Rumpelkammer im
eignen Haus, 's ist eine Chronik mit großen Lettern,
jedem Kinde, dem kleinsten verständlich, und für die
Großen zum Lesen erbaulicher, lehrreicher und erquick-
licher als manchmal das Neueste und Modernste, was
unten in Salon und Prunkzimmer seinen Ehren-
platz hat.
Wohnung suchen und richtiges Finden! Ein klarer
Kops, ein kluger Blick, aber auch ein weites, warmes
Herz und dann ein redliches Wollen gehören dazu!
Wenn du dir klar gemacht, in welche Gegend du
ziehen willst, welche Preislage du dir gestatten, was
du etwa dafür beanspruchen kannst, so schaue dir die
einzelnen Logis mit praktischem Blick an, was gerade
für dich zweckdienlich ist.
Laß dir nichts vorreden, wenn du dich nicht selbst
überzeugst.
Frage zuerst bei der jetzigen Partei, warum sie
auszieht — du hast ein Recht dazu —, aber laß dich
nicht auf ihre Schwätzereien ein über die Hausbesitzer
und andre Hausgenossen, es läuft da oft so viel per-
sönlich Gehässiges mit unter. Erkundige dich ander-
weitig, wo du kannst, aber offen, nach den Menschen,
mit denen du in Zukunft vielleicht Zusammenleben wirst,
das ist wichtig und kann nie verletzen, auch wenn es
die Betreffenden erfahren. Sachlich kannst du bei den
dich etwa herumführenden Hausbesitzern wohl nicht zu
viel Fragen stellen, auch nach dem scheinbar Gering-
fügigsten, was bei einem Einmieten unter Umständen
aber wesentlich werden kann, und es ist besser, du
nimmst sie jetzt ein bißchen länger in Anspruch, als
du ziehst nachher, enttäuscht, bald wieder aus.
Frage ungeniert nach Mäusen und Motten, nach
Wanzen und Russen. Schaue dir genau die Gesinde-
kammer an, und steige hinab in die Waschküche und
in den Keller, von den Zimmern spreche ich nicht, weil
deren gründliche Besichtigung selbstverständlich ist.
Nimm auch ein Maß zu den Wandflächen mit, aus daß
dir's nicht geht wie zwei alten Schwestern, die ich
kenne, in deren auf ein halbes Jahr gemieteten Schlaf-
kammern nur zwei Centimeter zur Bettlänge fehlten,
was aber genügend war, um die Lagerstätten eben
nicht hereinzubringen.
Vergiß über dem Inwendigen nicht, die Fenster
aufzumachen und die Umgebung zu prüfen, aber nicht
nur mit dem Auge, sondern auch mit der Nase.
Und nun, nimm nicht gleich eine Wohnung, wenn
sie dir gefällt, und wenn du noch Zeit zum Zuwarten
hast, — es könnte dir eine zweite und dritte doch noch
besser gefallen. Aber wähle auch nicht zu lang, es
schwächt sich so leicht die Urteilskraft dabei ab, und
verlange vor allem nichts Unmögliches. Auch hier
giebt's nichts Vollkommenes, sondern du wirst etwaige
Schattenseiten gegeneinander abzuwägen haben.
Ich wiederhole, was ich am Anfang gesagt: Mitten
 
Annotationen