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Illustrierter Beobachter, Ausgabe 8
1931 / Folge 1
Oopzri^kt IÜM INter-ir. Lüro IV. t-spvort, Nie-cn.
komsn vor, I^risclricbi 8cb>ulrs-I-giigsriclOllf
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Karfreitag 1914.
Der trübe Himmel lag wie ein Leichentuch
über der Erde. Dunkle Wolken schoben sich
wie verlorene Posten ineinander, ballten sich
zusammen, Regen und Schloßen, sturm-
gepeitscht, fielen nieder.
Eine junge, hübsche Frau hatte, den um-
florten Blick nach oben, schaute in die dll-
stern Wolkengestalten und schluchzte in sich
hinein. Wie Klageweiber erschienen ihr die
Gebilde der Höhe, wie Grab-
gesang war ihr das Lied des
Sturmes, das über den fri-
schen Hügel des Haupt-
manns Wynanky dahin-
brauste. Eisig fegte der Wind
um dürre Baumkronen, die
sich duckten und schüttelten
in dem kalten Regen. Es
war ein Tag, an dem die
ganze Natur trauerte, und
der junge Frühling weinte,
weil sich eine harte Hand
auf die Knospen der Pflan-
zen und auf die Herzen der
Menschen gelegt hatte, daß
die Geschöpfe aufschrien mit
zitternder Stimme und in
dem eigenen Weh zu ertrin-
ken drohten.
Annemarie Lesser saß fas-
sungslos in ihrem Zimmer
und weinte. Auf ewig wollte
sie das Glück an sich fesseln,
wollte mit seligem Kusse
alle Täuschung, jedes Er-
denleid zudecken; der Ewige
streckte ihr seine Arme ent-
gegen durch die Verheißung
der Liebe, die durch Welten
und Himmel dringt.
Nun aber war ihr durch
das Grab dort draußen auf
dem Friedhof alles genom-
men, alles zertrümmert; der
Tod hatte zwei Leben ver-
nichtet.
Im Dunkel der Nacht
schlich es heran; ein rieseln-
der Frost schüttelte das junge
Weib, das auf der Grenze
zwischen Mädchentum und
Frau steht. Noch ein Atem-
zug, dann richtete Annema-
rie sich jäh auf, stierte nach
einer Ecke, hielt den Atem
an, horchte auf die gespen-
stischen Stimmen der Nacht, auf den Ruf von
weit, weit her und sank ermattet zurück. Der
Ruf aber übertönte das beklemmende Gefühl,
übertönte den Todesgedanken und führte die
am Leben Verzweifelnde zurück in eine Zeit,
in der ein einsam Trauernder im Garten
Gethsemane an seinem eigenen Werke ver-
zagte und sich doch zurückfand zu einer über-
windenden Heldengröße, unter der die alte
Welt zusammenbrach und eine neue Zeit
Vorfrühlingsnacht.
„Befreit von Eis sind Strom und Bäche . . ."
fremdartig-schreckhaft zunächst, dann aber sieg-
haft erstand. Im dämmergrauen Morgen des
andern Tages ging Annemarie Lesser nach dem
Friedhöfe hinaus. Mit gefalteten Händen
kniete sie vor des Hauptmanns Grab. Ihre
Tränen flössen auf dem Hügel und riefen
nach dem Toten. Doch es war kein Schrei
der Verzweiflung, es war ein Erinnern an
schöne Stunden, glückliche Tage, ein Dank an
den Toten für eine Liebe und Treue, die
da glaubet alles und hoffet
alles und überwindet alles.
Und der Blick ging über die
Gräbermale der Entschlafe-
nen. „Der Herr hilft dem
Schwachen; er wird ansehen
dein Leid und dich trösten."
So stand dort mit goldener
Schrift. Annemarie ist nie
ein Frömmler gewesen, son-
dern eine lebensfrohe Toch-
ter ihrer Zeit, die durch-
drungen war von einer frei-
en Gottesfurcht und einer
heldenmütigen Tapferkeit.
Jetzt nahm sie ihren Glau-
ben, ihren Mut zusammen:
„Gott wird dich erheben aus
deiner Trübsal." Das war
das letzte Wort gewesen, das
Hauptmann Wynanky ihr
auf seinem Sterbelager zu-
geflüstert hatte, er, der hin-
aufgestiegen war zu den rei-
nen Opferstätten der Pflicht-
erfüllung im Dienste des
Vaterlandes.
Und Annemarie stand auf,
die Tränen versiegten; Gra-
besruhe lag um sie her. Sie
stand gedankenvoll da, den
Blick über die Gräber hin>
weg in die Glut der aus-
gehenden Sonne gerichtet,
und die Flamme des Lichts
blätterte mi^ geisterhaftem
Finger in dem Buche der
Erinnerung.
„Schaffe etwas — ein
Werk, das alle begeistert,
alle zur Achtung zwingt."
Der Ton, mit dem der Ge-
liebte das Wort gesprochen
hatte, lag ihr plötzlich im
Ohr, sie hörte, sie fühlte den
Liebesschwur im Kusse; sie
(Fortsetzung auf Seite 6)
Illustrierter Beobachter, Ausgabe 8
1931 / Folge 1
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Karfreitag 1914.
Der trübe Himmel lag wie ein Leichentuch
über der Erde. Dunkle Wolken schoben sich
wie verlorene Posten ineinander, ballten sich
zusammen, Regen und Schloßen, sturm-
gepeitscht, fielen nieder.
Eine junge, hübsche Frau hatte, den um-
florten Blick nach oben, schaute in die dll-
stern Wolkengestalten und schluchzte in sich
hinein. Wie Klageweiber erschienen ihr die
Gebilde der Höhe, wie Grab-
gesang war ihr das Lied des
Sturmes, das über den fri-
schen Hügel des Haupt-
manns Wynanky dahin-
brauste. Eisig fegte der Wind
um dürre Baumkronen, die
sich duckten und schüttelten
in dem kalten Regen. Es
war ein Tag, an dem die
ganze Natur trauerte, und
der junge Frühling weinte,
weil sich eine harte Hand
auf die Knospen der Pflan-
zen und auf die Herzen der
Menschen gelegt hatte, daß
die Geschöpfe aufschrien mit
zitternder Stimme und in
dem eigenen Weh zu ertrin-
ken drohten.
Annemarie Lesser saß fas-
sungslos in ihrem Zimmer
und weinte. Auf ewig wollte
sie das Glück an sich fesseln,
wollte mit seligem Kusse
alle Täuschung, jedes Er-
denleid zudecken; der Ewige
streckte ihr seine Arme ent-
gegen durch die Verheißung
der Liebe, die durch Welten
und Himmel dringt.
Nun aber war ihr durch
das Grab dort draußen auf
dem Friedhof alles genom-
men, alles zertrümmert; der
Tod hatte zwei Leben ver-
nichtet.
Im Dunkel der Nacht
schlich es heran; ein rieseln-
der Frost schüttelte das junge
Weib, das auf der Grenze
zwischen Mädchentum und
Frau steht. Noch ein Atem-
zug, dann richtete Annema-
rie sich jäh auf, stierte nach
einer Ecke, hielt den Atem
an, horchte auf die gespen-
stischen Stimmen der Nacht, auf den Ruf von
weit, weit her und sank ermattet zurück. Der
Ruf aber übertönte das beklemmende Gefühl,
übertönte den Todesgedanken und führte die
am Leben Verzweifelnde zurück in eine Zeit,
in der ein einsam Trauernder im Garten
Gethsemane an seinem eigenen Werke ver-
zagte und sich doch zurückfand zu einer über-
windenden Heldengröße, unter der die alte
Welt zusammenbrach und eine neue Zeit
Vorfrühlingsnacht.
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andern Tages ging Annemarie Lesser nach dem
Friedhöfe hinaus. Mit gefalteten Händen
kniete sie vor des Hauptmanns Grab. Ihre
Tränen flössen auf dem Hügel und riefen
nach dem Toten. Doch es war kein Schrei
der Verzweiflung, es war ein Erinnern an
schöne Stunden, glückliche Tage, ein Dank an
den Toten für eine Liebe und Treue, die
da glaubet alles und hoffet
alles und überwindet alles.
Und der Blick ging über die
Gräbermale der Entschlafe-
nen. „Der Herr hilft dem
Schwachen; er wird ansehen
dein Leid und dich trösten."
So stand dort mit goldener
Schrift. Annemarie ist nie
ein Frömmler gewesen, son-
dern eine lebensfrohe Toch-
ter ihrer Zeit, die durch-
drungen war von einer frei-
en Gottesfurcht und einer
heldenmütigen Tapferkeit.
Jetzt nahm sie ihren Glau-
ben, ihren Mut zusammen:
„Gott wird dich erheben aus
deiner Trübsal." Das war
das letzte Wort gewesen, das
Hauptmann Wynanky ihr
auf seinem Sterbelager zu-
geflüstert hatte, er, der hin-
aufgestiegen war zu den rei-
nen Opferstätten der Pflicht-
erfüllung im Dienste des
Vaterlandes.
Und Annemarie stand auf,
die Tränen versiegten; Gra-
besruhe lag um sie her. Sie
stand gedankenvoll da, den
Blick über die Gräber hin>
weg in die Glut der aus-
gehenden Sonne gerichtet,
und die Flamme des Lichts
blätterte mi^ geisterhaftem
Finger in dem Buche der
Erinnerung.
„Schaffe etwas — ein
Werk, das alle begeistert,
alle zur Achtung zwingt."
Der Ton, mit dem der Ge-
liebte das Wort gesprochen
hatte, lag ihr plötzlich im
Ohr, sie hörte, sie fühlte den
Liebesschwur im Kusse; sie
(Fortsetzung auf Seite 6)