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1831 / Folge 2


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die Karte

zu einem

kamen in

der Liebsten Hüfte und wollte sprechen, aber
es waren nur kaum wahrnehmbare Laute,
die er hervorstieß.
Annemarie faltete, wie um Kraft bittend,
die zitternden Hände. Ihr stolzer Wille und
ihr ächzendes Herz kämpften miteinander um
das große Werk der Aufopferung und der
Liebe. And sie zuckte zusammen in diesem
Kampfe und hatte wieder ein Rauschen und
Brausen im Ohr, und es ward zu einem ho-
hen, freien Eotteslied, zu einem Dankopfer
der Selbstbefreiung: Ihr Volk war ihre
letzte Liebe, ihr letzter Seufzer, der ihr die
freie Kraft des Mannesstolzes gab.
Die Blicke des Offiziers gingen immer
wieder zu der jungen Schweizerin hinüber.
Wie reizend und unschuldsvoll sie aussah!
Das Augenpaar in dem ebenlinigen Gesicht
war wie zwei stille, winkende Wasser, in
denen der Kapitän zu ertrinken drohte, und
aus denen es wie eine lockende Melodie auf-
stieg. Da legte er, des Augenblicks nicht mehr
mächtig, beide Arme um sie und zog sie an
sich. Sie tat, als wollte sie sich ihm entziehen,
bog das Haupt weit zurück, er aber folgte
ihr und flüsterte ihren Namen. Sie sank an
seine Brust, und während er sie leidenschaft-
lich küßte, bekannte sie mit zitternder Stim-
me: „Ich hab' dich lieb. — Nur dich." Es

kam heraus wie ein Bekenntnis, das sie mit
äußerster Kraft verbergen wollte, und das
sie doch nicht an sich halten konnte, weil ihr
tiefstes Selbst, ihre wahre Seele, wie ein
aufgeschlagenes Buch dalag.
Der Kapitän war von dem Elücksgefühl,
das ihn durchglühte, so benommen, daß ihm
das Wort, das er sagen wollte, im Halse er-
stickte. Eine ganze Weile hielt er seine Liebe
reglos an sich gedrückt, ein lebenstrunkener
Mensch, erfüllt von dem wehmütig-süßen
Zauber, den die Gegenwart spann, und dem

ie war den ganzen Tag über unermüd-
lich. Die Offiziere winkten ihr zu, freu-
sich, wenn die frische, hübsche
^^Schweizerin mit allen Zeichen des
Wohlwollens ihren Gruß erwiderte, und
wenn das reizende Mädel gar die Kamera
auf sie einstellte und sie knipste, dann flogen
die Handküsse nur so herüber, daß Kapitän
Euilliard vor Eifersucht entbrannte.
.Monsieur le capitalne, ich photographie-
re Sie heute in allen möglichen Stellungen
— Sie ganz allein!" tröstete sie den Alten,
und er stellte sich vor ihr auf im Bewußt-
sein seiner Würde und seiner Überlegenheit
den Kameraden gegenüber.
„So nehmen Sie sich nicht ordentlich aus,
Monsieur Guilliard. — Das Künstlerische,
die Landschaft, fehlt. Bitte, etwas weiter
rechts! — 2a, das wird prachtvoll!"
Wie ein gespreizter Pfau stand der
Mann vor den Geschützstellungen, die im
Bilde sestgehalten werden sollten.
„Nun eine Aufnahme von Ihnen in seit-
licher Beleuchtung, Monsieur."
Sie traten zwischen die Geschütze; der Ka-
pitän stand breitspurig da, verdeckte zuviel
von dem, auf das es Annemarie ankam.
„Nein, so machen Sie sich nicht schön —
knien Sie wie im Gefecht. — Oh, das wirkt
künstlerisch hervorragend!"
Ein Artillerieleutnant wagte die scheue
Bitte, als Feuerleiter mit dem in Stellung
gebrachten Geschütze photographiert zu wer-
den. Die Spionin war sich sofort darüber
klar, daß ihr durch den jungen Offizier un-
geahnte Möglichkeiten geboten wurden. Mit
einer bezaubernden Liebenswürdigkeit
wandte sie sich an ihren Kapitän, ob er er-
laubte. -Wie konnte er dem reizenden
Mädel eine Bitte abschlagen! Er stellte selbst
das Stativ auf, hierhin, dorthin, wie sie es
wollte. And der Leutnant stand hinter dem
eingegrabenen Geschütz, die Bedienung war
zur Stelle, als ob man sich im heißesten
Kampfe befand. Zwei, drei Aufnahmen
machte sie von dem Artilleristen. Ach, wenn
doch das Herz nicht so ungestüm dabei klopfen
wollte! Wie mit einem Hammer schlug es.
„Ihre Adresse, Herr Leutnant? Damit ich
Ihnen die Bilder senden kann." Sie mußte
gewaltsam an sich halten, als sie
des Offiziers in Empfang nahm.
Am Abend lud ihr Kapitän sie
Spaziergang ein.
Sie gingen aus dem Dorfe und
nnen kleinen Wald mit hohen, alten Bäu-
men. Nur gedämpft klangen Hundegekläff
und Soldatenlieder hierher. Friedlich, ver-
träumt war hier alles. Eine rohgezimmerte
Bank unter einem romantischen Nußbaume
lud zur Rast ein. Die beiden einsamen Men-
schen nahmen Platz. Niemand sprach ein
Wort. In dem verliebten Offizier wuchs ein
brennender Schmerz und stieg bis in die
Kehle, eine nicht zügelnde Leidenschaft
glühte in ihm auf. Er konnte diese
Stille um sich und die Sehnsucht in sich
nicht mehr ertragen. Er beugte sich zu dem
geliebten Mädchen und legte seinen Arm um

er sich mit frohem Zukunftshoffen willig er-
gab. Dann aber wallte jäh eine wilde Sehn-
sucht in dem Manne auf; er riß das blonde
Mädchen aufs neue an sich, grub sein Gesicht
in das Blondhaar, und seine feurige Wer-
bung war ein Schrei der Gewißheit ihrer
Liebe, ein stolzer Jubel in dem grausamen
Schmerz von einst, den ihm vor Jahren ein
Mädchen bereitet hatte. Er hob das zuckende
Gesicht der Geliebten gegen sich, küßte Anne-
maries Wange, ihre Stirn, ihren Mund und
stammelte: „Du bist mein. Auf ewig gehö-
ren wir zusammen."
Zaghaft erst, küßte sie ihn wieder, dann
wie in heißer, seliger Vergessenheit, wie in
einem Taumel einer nach Liebe schmachten-
den Frauenseele, die endlich empfangen und
schenken darf.
„Wann heiraten wir?" fragte sie, als der
Mann sie freigab.
Er strich glückselig über ihre Hand, die er
hielt, und erwiderte: „Zu Weihnachten —
wenn's geht, noch früher."
Sie drängte sich an ihn und begehrte mit
berauschendem Klang: „Was hat eine Offi-
ziersfrau zu tun? Was hast du für einen
Dienst?"
Da erzählte er von seiner militärischen
Laufbahn. Sie staunte ihn an: „Ah! Im
Generalstab warst du! Also ein ausgezeich-
neter Offizier! Das wird meine Eltern für
dich stimmen."
Sie sprach mit zwingender Sicherheit, sah
alles vom Standpunkt des verliebten Mäd-
chens aus, das nur einen Herzenswunsch hat:
Die Verhältnisse so zu formen, daß sie die
baldige Vereinigung mit dem geliebten
Manne ermöglichen.
Der Kapitän sah in eine lichte, frohe Zu-
kunft, die zur Nähe, zur Gewißheit wurde,
und er brüstete sich: „Ich habe die französi-
schen Aufmarschpläne gegen Deutschland be-
arbeitet — bis vor einem halben Jahre."
Mit dem Überschwang des reifen Mäd-
chentums legte Annemarie ihren Arm um
den Nacken des Offiziers und küßte ihn.
„Das alles weißt du? Ich verstehe nichts
davon. Kannst du mit einer dummen Frau
zufrieden sein?"
Er nahm ihren Kopf in beide Hände und
versicherte ihr: „So wie du bist, hab' ich dich
gern."
„Versteh' mich nicht falsch, lieber George,"
bat sie treuherzig. „Meine Eltern sind reich,
du bekommst also eine reiche Frau. Unser
Leben wird sorglos. Aber du hast ein reiches
Wissen, und ich —."
Sie brach den Satz ab, wie in einem ge-
dämpften Aufschrei über die Erkenntnis, daß
sie den Mann nicht befriedigen würde, weil
sie ihm geistig nicht ebenbürtig war. Dem
Kapitän aber erschloß sich die Zukunft, der
er entgegenstrebte, wie ein sonnenhaftes
Land, das eigens für ihn erschaffen war.
Und er war so fest in seinem Glauben und
so stark in seiner Hoffnung, daß er seiner
Braut die beglückende Erfüllung ihres Wun-
sches geben wollte. Er begann zu erzählen,
(Fortsetzung auf Seite 6)

er Fruylrng dal

(1. Fortschunn»
 
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