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U>Zt / Folge 3
1980 dzk InttzDUD. Nürn XV. 66s)s)6rt. Niouu.
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(2. Forlsctzminl
komsti voll ^tis6ticli 3ckiu!rs-l.sr>gsnc!oskk
—iese junge Schweizerin hatte mit dem
Eelde nicht gekargt, ihre Schönheit
I und Liebenswürdigkeit hatten Gäste
ins Haus gebracht und damit einen
guten Verdienst. Etwas aber war im Herzen
der Wirtin, das ging über das Materielle
hinaus: die unbewußte Liebe zu der Pen-
sionärin.
„Weshalb wollen Sie fort? Gefällt es
Ihnen nicht mehr bei uns?"
Annemarie zog die Frau neben sich auf
das Sofa.
„Madame, ich komme wieder — bestimmt.
Sie wissen, der Herr Kapitän und ich —
Nun, Sie sind mir gut, ich weiß es."
Das junge Mädchen hielt die Hände der
Frau und sah ihr mit einem glücklichen,
strahlenden Gesicht in die Augen, und ihre
Stimme war schmeichelnd und zitterte ein
wenig in der Freude.
„Und nun?" fragte die Französin ge-
spannt.
„Nun will ich morgen zurück nach der
Schweiz, um meinen Eltern meine Verlo-
bung mitzuteilen, und dann — komm' ich
wieder zu Ihnen."
Überwältigt von der Anmut des lieben
Mädchens, beugte sich die Frau zu Annema-
rie und schloß sie in die Arme. Keinen Ton
brachte sie hervor; erst nach einer langen
Weile sagte sie abgehackt: „Darf ich als erste
dem Herrn Kapitän das mitteilen?"
Annemarie nickte, als ob das Glück auch
sie schweigsam gemacht hätte.
Als sich der Kapitän am Abend einstellte,
bat Madame ihn in das Nebenzimmer, gra-
tulierte ihm zu seiner reizenden, reichen
Braut und erzählte ihm von der beabsichtig-
ten Reise. Der Mann wußte nicht, ob er sich
darüber freuen sollte, aber die Wirtin über-
zeugte ihn mit beredten Worten von der
Notwendigkeit der Abreise und von der Ge-
wißheit der Rückkehr.
Am Abend stand Annemarie wieder mit
ihrem George unter dem romantischen Nuß-
baum. In ihrer Seele wälzte sich die freie
Selbstbestimmung mit dem Widerwillen, den
sie vor dem Manne empfand, in wütendem
Kampfe. Alle Menschen, die ihr im Leben
teuer gewesen waren, waren ihr entfremdet,
und wie Hohn zuckte es durch ihr Herz, daß
sie diesem bärbeißigen Offizier einer frem-
den, feindlichen Macht ihren Mund zum
Kusse bieten sollte; wie ein schneidendes
Messer fuhr es durch ihre Seele, als er nach
Annemaries Hand griff und sie an sich zog.
Der Mann aber sah in dem Dunkel den fin-
stern Blick und die klagenden Züge nicht, er
sah nur das engelschöne Mädchen mit den
bittenden, zärtlichen Mienen, das wie die
Schattengestalt einer vergangenen Welt in
sein Leben getreten war. In dem aufwallen-
den Gefühl, das über ihn kam, zog er die
Geliebte an sich und küßte ihr Wange und
Stirn und dann den roten Mund.
„Was wirst du tun, wenn deine Eltern
nicht einverstanden sind?" stammelte er.
Sie aber hatte das Steuer ihres Lebens
wieder fest in der Hand und erwiderte mit
einer Stimme, die keinen Zweifel zuließ:
„Sie werden einverstanden sein, ich weiß es.
Niemand kann uns trennen. Ich gehe mit
dir, wohin du willst."
Das klang im Ohr des berauschten Man-
nes wie ein Schwur, der nicht gebrochen
werden konnte. Und nun war der Kapitän
ganz Eifer und Dienstfertigkeit. Er ging mit
seiner Braut zurück ins Dorf, in die Pension,
besorgte ein Auto, bestellte eine Ordonnanz
und einen Unteroffizier, instruierte die bei-
den, das Fräulein unbelästigt und wohlbe-
halten Uber die Grenze zu bringen. Er hätte
der Zeit Flügel geben mögen, damit der
Tag, an dem er die Gewißheit bekommen
sollte, schon greifbar vor ihm stand. Noch in
der Nacht mußte Annemarie mit ihrem Ge-
päck, ihren Zeichnungen und Photographien
fahren.
An der Grenze sollte eine Zollrevision
stattfinden, aber der Unteroffizier erklärte
dem Beamten, daß er jede Belästigung der
Braut seines Kapitäns verhindern werde. Da
ließ der Zollbeamte es bei einem guten
Trinkgeld bewenden und fand alles in na-
türlichster Ordnung. Der französische Unter-
offizier löste für seine Schutzbefohlene eine
Fahrkarte nach der Schweiz und besorgte das
Gepäck, und während er nach seiner Rückkehr
seinem Offizier Meldung machte, stieg Anne-
marie in einen Expreßzug nach Berlin um.
Zwei Tage darauf saß die Spionin mit
Matthesius am Tische.
Der Mann schüttelte den Kopf über das,
was er hörte. Die französische Artillerie
sollte sich in der Feldschlacht bis an die
Rohrmllndungen verschanzen? Eingraben?
„Sehen Sie, mein liebes Fräulein, es gibt
auch im Auslande Menschen, die gern ein
gutes Stück Geld verdienen, die aber ihrem
Vaterlande dadurch einen großen Dienst er-
weisen, daß sie hinter jedem Fremden einen
Spion wittern und diesem den größten Un-
sinn als eine weltbewegende Wahrheit dar-
stellen. Das, was Sie hier skizziert haben,
sollen Schützengräben für den Bewegungs-
krieg sein?"
„Ohne Zweifel."
„Nun ja, wenn Sie selbst Soldat gewesen
wären — verzeihen Sie bitte, daß ich so
spreche — Sie wüßten, daß das Festungs-
gräben sind. Im unbefestigten Gelände kann
man solche Kampfstellungen nicht anlegen."
Wie ein Kobold saß die jüngste Spionin
da; ihr Blick blitzte den erfahrenen Mann
an, ihr Mund spitzte sich im Gefühl der
Überlegenheit.
„Ich sehe dort eine Schachtel Zigaretten,
Herr Matthesius. Darf ich uns beiden eine
anbieten? Es beruhigt die Nerven."
„Vor Ihnen haben die jungen Männer
sich in acht zu nehmen!" schmunzelte er, wor-
auf sie erwiderte: „Auch die alten." Und
während er den Rauch seiner Zigarette nach-
denklich betrachtete, nahm sie die Photogra-
phien aus der Tasche.
„Sehen Sie — mit diesem bärbeißigen
Kapitän habe ich mich verlobt. Ist das nicht
prachtvoll?"
Matthesius stöhnte vor Überraschung. —
Als ob er das, was er da sah, mit seinen
Augen trinken wollte, betrachtete er dis
Lichtbilder. Nach einer langen Weile erst
hob er den Kopf, und dann sagte er lang-
(Fortsetzung auf Seite 6)
„A us Gräbern wach st die Kraft zur Tat . .
U>Zt / Folge 3
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I und Liebenswürdigkeit hatten Gäste
ins Haus gebracht und damit einen
guten Verdienst. Etwas aber war im Herzen
der Wirtin, das ging über das Materielle
hinaus: die unbewußte Liebe zu der Pen-
sionärin.
„Weshalb wollen Sie fort? Gefällt es
Ihnen nicht mehr bei uns?"
Annemarie zog die Frau neben sich auf
das Sofa.
„Madame, ich komme wieder — bestimmt.
Sie wissen, der Herr Kapitän und ich —
Nun, Sie sind mir gut, ich weiß es."
Das junge Mädchen hielt die Hände der
Frau und sah ihr mit einem glücklichen,
strahlenden Gesicht in die Augen, und ihre
Stimme war schmeichelnd und zitterte ein
wenig in der Freude.
„Und nun?" fragte die Französin ge-
spannt.
„Nun will ich morgen zurück nach der
Schweiz, um meinen Eltern meine Verlo-
bung mitzuteilen, und dann — komm' ich
wieder zu Ihnen."
Überwältigt von der Anmut des lieben
Mädchens, beugte sich die Frau zu Annema-
rie und schloß sie in die Arme. Keinen Ton
brachte sie hervor; erst nach einer langen
Weile sagte sie abgehackt: „Darf ich als erste
dem Herrn Kapitän das mitteilen?"
Annemarie nickte, als ob das Glück auch
sie schweigsam gemacht hätte.
Als sich der Kapitän am Abend einstellte,
bat Madame ihn in das Nebenzimmer, gra-
tulierte ihm zu seiner reizenden, reichen
Braut und erzählte ihm von der beabsichtig-
ten Reise. Der Mann wußte nicht, ob er sich
darüber freuen sollte, aber die Wirtin über-
zeugte ihn mit beredten Worten von der
Notwendigkeit der Abreise und von der Ge-
wißheit der Rückkehr.
Am Abend stand Annemarie wieder mit
ihrem George unter dem romantischen Nuß-
baum. In ihrer Seele wälzte sich die freie
Selbstbestimmung mit dem Widerwillen, den
sie vor dem Manne empfand, in wütendem
Kampfe. Alle Menschen, die ihr im Leben
teuer gewesen waren, waren ihr entfremdet,
und wie Hohn zuckte es durch ihr Herz, daß
sie diesem bärbeißigen Offizier einer frem-
den, feindlichen Macht ihren Mund zum
Kusse bieten sollte; wie ein schneidendes
Messer fuhr es durch ihre Seele, als er nach
Annemaries Hand griff und sie an sich zog.
Der Mann aber sah in dem Dunkel den fin-
stern Blick und die klagenden Züge nicht, er
sah nur das engelschöne Mädchen mit den
bittenden, zärtlichen Mienen, das wie die
Schattengestalt einer vergangenen Welt in
sein Leben getreten war. In dem aufwallen-
den Gefühl, das über ihn kam, zog er die
Geliebte an sich und küßte ihr Wange und
Stirn und dann den roten Mund.
„Was wirst du tun, wenn deine Eltern
nicht einverstanden sind?" stammelte er.
Sie aber hatte das Steuer ihres Lebens
wieder fest in der Hand und erwiderte mit
einer Stimme, die keinen Zweifel zuließ:
„Sie werden einverstanden sein, ich weiß es.
Niemand kann uns trennen. Ich gehe mit
dir, wohin du willst."
Das klang im Ohr des berauschten Man-
nes wie ein Schwur, der nicht gebrochen
werden konnte. Und nun war der Kapitän
ganz Eifer und Dienstfertigkeit. Er ging mit
seiner Braut zurück ins Dorf, in die Pension,
besorgte ein Auto, bestellte eine Ordonnanz
und einen Unteroffizier, instruierte die bei-
den, das Fräulein unbelästigt und wohlbe-
halten Uber die Grenze zu bringen. Er hätte
der Zeit Flügel geben mögen, damit der
Tag, an dem er die Gewißheit bekommen
sollte, schon greifbar vor ihm stand. Noch in
der Nacht mußte Annemarie mit ihrem Ge-
päck, ihren Zeichnungen und Photographien
fahren.
An der Grenze sollte eine Zollrevision
stattfinden, aber der Unteroffizier erklärte
dem Beamten, daß er jede Belästigung der
Braut seines Kapitäns verhindern werde. Da
ließ der Zollbeamte es bei einem guten
Trinkgeld bewenden und fand alles in na-
türlichster Ordnung. Der französische Unter-
offizier löste für seine Schutzbefohlene eine
Fahrkarte nach der Schweiz und besorgte das
Gepäck, und während er nach seiner Rückkehr
seinem Offizier Meldung machte, stieg Anne-
marie in einen Expreßzug nach Berlin um.
Zwei Tage darauf saß die Spionin mit
Matthesius am Tische.
Der Mann schüttelte den Kopf über das,
was er hörte. Die französische Artillerie
sollte sich in der Feldschlacht bis an die
Rohrmllndungen verschanzen? Eingraben?
„Sehen Sie, mein liebes Fräulein, es gibt
auch im Auslande Menschen, die gern ein
gutes Stück Geld verdienen, die aber ihrem
Vaterlande dadurch einen großen Dienst er-
weisen, daß sie hinter jedem Fremden einen
Spion wittern und diesem den größten Un-
sinn als eine weltbewegende Wahrheit dar-
stellen. Das, was Sie hier skizziert haben,
sollen Schützengräben für den Bewegungs-
krieg sein?"
„Ohne Zweifel."
„Nun ja, wenn Sie selbst Soldat gewesen
wären — verzeihen Sie bitte, daß ich so
spreche — Sie wüßten, daß das Festungs-
gräben sind. Im unbefestigten Gelände kann
man solche Kampfstellungen nicht anlegen."
Wie ein Kobold saß die jüngste Spionin
da; ihr Blick blitzte den erfahrenen Mann
an, ihr Mund spitzte sich im Gefühl der
Überlegenheit.
„Ich sehe dort eine Schachtel Zigaretten,
Herr Matthesius. Darf ich uns beiden eine
anbieten? Es beruhigt die Nerven."
„Vor Ihnen haben die jungen Männer
sich in acht zu nehmen!" schmunzelte er, wor-
auf sie erwiderte: „Auch die alten." Und
während er den Rauch seiner Zigarette nach-
denklich betrachtete, nahm sie die Photogra-
phien aus der Tasche.
„Sehen Sie — mit diesem bärbeißigen
Kapitän habe ich mich verlobt. Ist das nicht
prachtvoll?"
Matthesius stöhnte vor Überraschung. —
Als ob er das, was er da sah, mit seinen
Augen trinken wollte, betrachtete er dis
Lichtbilder. Nach einer langen Weile erst
hob er den Kopf, und dann sagte er lang-
(Fortsetzung auf Seite 6)
„A us Gräbern wach st die Kraft zur Tat . .