Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 4.1916

DOI Heft:
IV.1
DOI Artikel:
Freud, Sigmund: Zeitgemäßes über Krieg und Tod
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42097#0009
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
A G O
ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER PSVCHO-
ANALySE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD
SCHRIFTLEITUNG:
IV. 1. DR. OTTO RANK / DR. HANNS SACHS 1915


Zeitgemäßes über Krieg und Tod,
Von SIGM, FREUD,
I, Die Enttäuschung des Krieges.
Von dem Wirbel dieser Kriegszeit gepackt, einseitig unterrichtet,
ohne Distanz von den großen Veränderungen, die sich bereits
vollzogen haben oder zu vollziehen beginnen, und ohne
Witterung der sich gestaltenden Zukunft, werden wir selbst irre an
der Bedeutung der Eindrücke, die sich uns aufdrängen, und an dem
Wert der Urteile, die wir bilden. Es will uns scheinen, als hätte
noch niemals ein Ereignis soviel kostbares Gemeingut der Mensch«
heit zerstört, soviele der klarsten Intelligenzen verwirrt, so gründlich
das Hohe erniedrigt. Selbst die Wissenschaft hat ihre leidenschaftslose
Unparteilichkeit verloren,- ihre aufs tiefste erbitterten Diener suchen
ihr Waffen zu entnehmen, um einen Beitrag zur Bekämpfung des
Feindes zu leisten. Der Anthropologe muß den Gegner für minder-
wertig und degeneriert erklären, der Psychiater die Diagnose seiner
Geistes« oder Seelenstörung verkünden. Aber wahrscheinlich empfin-
den wir das Böse dieser Zeit unmäßig stark und haben kein Recht, es
mit dem Bösen anderer Zeiten zu vergleichen, die wir nicht erlebt haben.
Der Einzelne, der nicht selbst ein Kämpfer und somit ein
Partikelchen der riesigen Kriegsmaschinerie geworden ist, fühlt sich
in seiner Orientierung verwirrt und in seiner Leistungsfähigkeit ge-
hemmt. Ich meine, ihm wird jeder kleine Wink willkommen sein,
der es ihm erleichtert, sich wenigstens in seinem eigenen Innern zu«
rechtzufinden. Unter den Momenten, welche das seelische Elend der
Daheimgebliebenen verschuldet haben, und deren Bewältigung ihnen
so schwierige Aufgaben stellt, möchte ich zwei hervorheben und an
dieser Stelle behandeln: Die Enttäuschung, die dieser Krieg hervor«
gerufen hat, und die veränderte Einstellung zum Tode, zu der er
uns — wie alle anderen Kriege — nötigt.
Wenn ich von Enttäuschung rede, weiß jedermann sofort, was

Imago IV/1

1
 
Annotationen