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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

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Lorenz, Emil: Der politische Mythus: Probleme und Vorarbeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0051
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Der politische Mythus

Der politische Mythus.

Probleme und Vorarbeiten.

Von Dr. EMIL LORENZ (Klagenfurt).

Was eine Psychologie der Politik zu leisten hätte, läßt sidr am
leichtesten durch den Hinweis darauf klar machen, daß es
sich in der Politik in dem konkreten Sinn des Wortes um
die Lebensäußerungen einer staatlich geordneten Gemeinschaft, also
um Vorgänge zwischen Menschen, um Handlungen, Taten und ihre
Motive, also um etwas Seelisches handelt. Durch die Eigenart des
politischen Lebens, dessen zum mindesten manifester Inhalt Streben
um die Macht ist, erscheint es sodann ausgeschlossen, daß es die
reine Erkenntnis wäre, die dem Handeln zugrunde gelegt wird. Wir
müssen uns gefaßt machen, den im sonstigen Seelenleben wirksamen
emotionalen Momenten hier in eigentümlicher Ausprägung wieder zu
begegnen. Festzuhalten ist ferner, daß die Motive und die in und
mit ihnen wirkenden Affekte — wie auch sonst durchgehends im
psychischen Leben — entweder bewußt, vernunftgemäß und darum
zumindest der Intention nadi der Wirklichkeit angepaßt oder una
bewußt, auf dem infantilen Luftprinzip beruhend und darum in der
Regel nicht angepaßt sein können. Die letzteren wären auch als
realitätsfremde Motive zu bezeichnen, Was ihre Wirksamkeit betrifft,
so ist es klar, daß ihre Unzugänglichkeit ihre Stärke ist, Sie sind
das Irrationale,- die Gesamtheit dessen, was die praktische Politik
nach einem Wort Bismarcks als Imponderabilien bezeidmet.

Diesen seelischen Faktor in der Gestalt bewußter und un=>
bewußter Beweggründe der handelnden Personen aus dem Getriebe
des geschichtlichen Lebens herauszulösen — von dem das politische
einen real nicht zu unterschätzenden, in seiner menschheitlichen
Bedeutung aber vielfadr überschätzten Anteil einnimmt — wäre die
Aufgabe einer Psychologie der Politik.

Leopold v. Ranke hat in seinen Vorlesungen vor dem König
Ludwig von Bayern1 die leitenden Ideen als die herrschenden Ten-
denzen in jedem Jahrhundert interpretiert. Wir könnten, um auch
die letzte Spur einer mythologischen Auffassung aus diesem Begriff
zu entfernen, sie als die zeitlich bedingten Lebensnotwendigkeiten
innerhalb eines Kulturkreises bezeichnen, von denen Vorstellungen

Weltgeschichte IX. Band.
 
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