Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

DOI Artikel:
Pfister, Oskar: Die Entwicklung des Apostels Paulus: eine religionsgeschichtliche und psychologische Skizze
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0302
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
290

Dr. O. Pfister

jüdisch-christlichen Messiasidee notwendig, um in der neuen Fröm-
migkeit zu leben.

14. Während in der Ausgestaltung dieses religiösen Objektes
und seiner Erlösungstat die Verschmelzung der beiden Religions^
kreise mit ungefähr gleich großen Anleihen bei beiden gelang, über-
wog bei der Auffassung der religiösen Funktion der Beitrag des
Mysterienkultus/ nadi dem Tode des universalen Sühnopfers hat
der Fromme nicht mehr zu opfern, dafür treten die mystische Identi-
fikation des Gläubigen mit dem gestorbenen und auferstandenen
Gottheiland in Glauben und Liebe, sowie die Kultusübungen der
Taufe und des mystischen Mahles ins Zentrum der Frömmigkeit.
Aber wichtiger bleibt der christusähnliche Wandel in der Liebe.

15. Obwohl Paulus eine grandiose religiöse und sittliche
Sublimierung zugleich mit Überwindung der Zwangsneurose fand,
blieben einzelne neurotische Symptome (Anfälle mit Bewußtseins-
verlust, Dorn im Fleisch, Ekstasen, Zungenrede), die sich gelegent-
lich vorübergehend bis ins Zentrum des religiösen Lebens (Ängste
Stimmung) erstrecken und das sittliche Urteil stören (Ehe). Diese
historisch unvermeidlichen Beeinträchtigungen der absoluten Erlösung
tun jedoch der Größe, Kühnheit und Tiefe der paulinischen Fröm-
migkeit und Ethik keinen wesentlichen Eintrag.

Meine Ausführungen erheben nicht den Anspruch auf er^
schöpfende Behandlung. Das Material genügt nicht dem Wunsche
nach kristallener Durchsichtigkeit. Meine Skizze soll nur einen ersten
Versuch darstellen, dem erhabenen Gegenstand näher zu kommen,
Konservative Theologen, die als Verwalter des Ritschlschen Erbes
die christliche Religionsentwicklung von hellenistischen Einflüssen
freisprechen wollen, mögen sich über die nachgewiesenen Zusammen-
hänge entsetzen und empören. Mir aber ist die schöpferische Tat
des Paulus, die ihn zum Retter des Christentums und Vorkämpfer
der gewaltigsten religiös-sittlichen Wahrheiten machte, in diesem
neuen Lichte nur desto bewunderungswürdiger erschienen.
 
Annotationen