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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 9.1923

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Heft 4
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Kolnai, Aurel: Gontscharows "Oblomow"
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https://doi.org/10.11588/diglit.28544#0497

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GONTSCHAROWS „OBLOMOW"
Von AUREL KOLNAI
1. Man würde es mit Recht für müßig halten, jede einzelne bedeutsamere
Schöpfung der Dichtkunst, nur weil es in ihr notgedrungen von „psychischen
Motiven"' wimmelt, unter die analytische Lupe zu nehmen, um Komplexe und
Triebäußerungen freudig in ihr wiederzuentdecken. Allein „Oblomow" mutet
uns an, wiewohl er echter dichterischen Einbildungskraft entspringt und sozu-
sagen ungekünstelte Kunst ist, wie eine wahre Veranschaulichung gewisser her-
vorragender Konstruktionen der neuen Seelenforschung. Es mag denn auch eine
reizvolle Aufgabe sein, das Werk mit all seinen Einzelheiten und mit Heran-
ziehung der übrigen Schriften sowie des Lebenslaufes seines Schöpfers analytisch
zu bearbeiten. Wir haben uns diese Leistung nicht zugetraut und zwar auch
darum nicht, weil eben Gontscharows Roman trotz seines unübertrefflich echten
Kunstwertes ein wenig zu schematisch erscheint, als enthalte er nichts Wesent-
liches jenseits dessen, was in ihm anschaulich geschildert und formuliert zutage
liegt. Auch wollen wir hier nicht versuchen, einen Baustein zur Psychologie
(und Theologie) des Russentums niederzulegen, vielmehr nur darauf hinweisen,
wie sehr die Oblomow-Gestalt es verdient, den Freudschen „Charaktertypen
aus der psychoanalytischen Arbeit" zur Seite gestellt zu werden. Wie ein Mensch
an seinen inneren Hemmungen, Triebregressionen, infantilen Bindungen und
erotischen Versagung zugrunde geht: hiervon beschert uns „Oblomow" ein nahe-
zu klinisches Musterbild; und es ist gut, daß der psychologisch veranlagte rus-
sische Zifcrary gen?Z<?77M!73 aus chronologischen Gründen dem Verdacht entgeht,
bewußt aus analytischen Quellen geschöpft zu haben.
2. Oblomow stammt aus einer in patriarchalischen Verhältnissen lebenden
adeligen Familie und wird nach dem Tode seiner Eltern als junger Beamter in
Petersburg Herr des Gutsbesitzes und des Dorfes Oblomowka, wo er seine Kind-
heit verbracht hat. Von dieser Zeit her verbindet ihn eine innige Freundschaft
 
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