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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 10.1924

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Heft 4
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Hermann, Alice: Die Grundlagen der zeichnerischen Begabung bei Marie Bashkirtseff: (nach dem "Journal de Marie Bashkirtseff")
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https://doi.org/10.11588/diglit.36527#0446
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Die Grundlagen der zeichnerischen
Begabung bei Marie Bashkirtseff
(Nach dem „Journal de Marie Bashkirtseff")
Von Dr. Alice Hermann-Cziner (Budapest)
Was die Aufzeichnungen der Marie Bashkirtseff zu einer reichhaltigen
Quellenschrift der Begabungsforschung macht, ist die Preisgabe intimer Einzel-
heiten — ein reiches Material für psychoanalytische Bearbeitung.
Verständlich wird diese Aufrichtigkeit jedenfalls dann, wenn wir bedenken,
was wir ja schon aus der ersten Seite des Tagebuches erfahren und immer
wieder bestätigt sehen, daß sie von dem selbst unter Künstlern auffallend
starken Narzißmus der Autorin genährt wird. Durch diese rückhaltlose Preis-
gabe ihrer Lebensschicksale, Gedanken und Wünsche will sie das Interesse
des Lesers und somit den so heiß ersehnten Ruhm der Nachwelt für sich
sichern und der Narzißmus, welcher all ihre — auch die geringsten —
Lebensäußerungen mit Eigenliebe besetzt, läßt ihr alles mit ihrer Person
Zusammenhängende interessant und mitteilenswert erscheinen.
Dieser tief wurzelnde Narzißmus, der uns einerseits zu Daten hinsicht-
lich der Genese der Begabung Marie Bashkirtseffs verhilft, läßt anderseits
die Rolle, die diese Begabung in ihrem Leben einnahm, in einem eigen-
tümlichen Lichte erscheinen. Wir wissen, mit welcher Leidenschaftlichkeit
Marie Bashkirtseff von ihrer frühesten Jugend an „nach Größe" strebte
(sie meint sich bis ins dritte Jahr solcher Phantasien zu erinnern), wie
sie ihre Träume bald als berühmte Sängerin, bald als Malerin, bald als
Schriftstellerin, ja sogar als Weltdame und Mittelpunkt eines politischen
Kreises zu verwirklichen meinte; ja es scheint, als ob keine ihrer Hoff-
nungen vollständig ohne Berechtigung gewesen wäre. Wir können uns
manchmal des täuschenden Gefühls nicht erwehren, daß die Malerei für
Marie Bashkirtseff nur eines der möglichen Mittel zum Ziele war.
 
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