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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902

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Velde, Henry van de: Das Museum "Folkwang" in Hagen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6713#0288

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276

INNEN-DEKORATION.

PROF. HENRY VAN DE VELDE.

Treppe im Folkwang-Museum

zur Erkenntnis zu bringen, als gerade diesem künst-
lerischen Wert und diesem mächtigen Kunst- Gefühl,
das sie hervorrufen, dieser Triumph zuzuschreiben ist.

Vielen war dies wie eine Offenbarung; (was
heute augenscheinlich scheint, hatten wir schon
damals in meinem Buch »Renaissance im Kunst-
Gewerbe« in dem Kapitel »Der Ingenieur als
Künstler« ausgedrückt), und von heute an kann
niemand mehr behaupten, dass ein Werk, das auf
der genauen Basis dessen, was es sein soll, auf-
gebaut ist, nicht zur Schönheit gelangen kann. Es
war nicht möglich, dass sie mit einem Schlage die
Schönheit erreichen konnten, aber heute ist sie zum
Durchbruch gekommen und blendet uns die Augen.

Wenn wir den Kathedralen und griechischen
Tempeln so nahe ständen, wie diesen Maschinen, so
würden wir auch in jenen das Vernünftige schliessen
und die Berechnung, aus denen sie entstanden sind,
entdecken. Und es ist gewiss, dass der Mensch des
Mittelalters und der Grieche den Prinzipien, die ihnen
Kirchen und Tempel schenkten, gleichviel huldigten,

wie dem künstlerischen Geist, welcher
diese Prinzipien nutzbar machte. — Die
Willkür muss wirklich unsere heutigen
Köpfe arg zugerichtet haben, wenn wir
unser Recht, ein vernünftiges und wohl
überdachtes Werk zu schaffen, verteidigen
müssen. Ein ganzer Teil der Menschheit
schreit nach Willkür, wie ein Kind nach
seinem Daumen; ich denke, die Menschen
haben jedoch Zeit genug gehabt, um zu
bemerken, dass aus ihrem Daumen kein
Tropfen Milch herausfloss, und dass die
willkürlichen Praktiken eine ebenso be-
zügliche Nahrung für ihren Geschmack
waren. Man hat Mode auf Mode und
nicht Stil auf Stil gehäuft, wie viele es
wohl behaupten.

Seit dem Altertum, ist es das zweite-
mal, dass wir vor demselben intensiven
Bedürfnis, uns auszudrücken, stehen. —■
Von Tag zu Tag erkennen wir besser,
alles was uns umgibt; wir sehen die
Dinge endlich in ihrem wahren Licht,
und die Menschen erscheinen uns so, wie
sie in Wirklichkeit sind. Die Augen
erkranken auf die Länge der Zeit vom
Zuvielsehen und vom Nichtvergessen
können, was sie gesehen haben. Dann
vollzieht die Vernunft die Heilung; sie
sticht das Auge, in der Art wie der Arzt
den Star sticht, und leitet alsdann die
Schritte der so operierten Menschheit,
welche zuerst, folgsam ist, weil sie noch
nicht allzu deutlich sieht.

Ich habe gesagt, dass es seit dem Altertum
das zweitemal ist, dass wir uns bewusst werden,
was wir sind, und dass wir erkennen, was wir
bedürfen. Man versteht wohl, dass ich mit dem
erstenmale das Zeitalter der Gotik meine. In jener
Zeit haben unsere Vorfahren wirklich Dinge voll-
bracht, an denen wir Beispiel nehmen können.
Was sie zu erringen, und dem sie eine bestimmte
Richtung zu geben hatten, waren die Karakter-
Eigentümlichkeiten, welche Jahrhunderte langsam
zurechtgemodelt hatten; und was nun wir zu erringen
und auszudrücken haben, ist genau dasselbe.

Ein langer Zeitraum ist jetzt verflossen, seit
dem Augenblick, wo ein erhabener Wendepunkt dem
Karakter und der Kunst der gotischen Epoche
einen bestimmten Ausdruck gab. — Bald sind zehn
Jahrhunderte einander gefolgt, seit dem Bau der
Kathedralen und dem der Eifeltürme, der Aus-
stellungs-Hallen, der Bahnhöfe und der riesenhaften
überseeischen Dampfer; nun verlangt alles, was sich
 
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