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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 14.1903

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Schliepmann, Hans: Billige, geschmackvolle Wohnungs-Einrichtungen: einige Worte zum Wettbewerbe der "Innen-Dekoration"
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https://doi.org/10.11588/diglit.6711#0024

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INNEN-DEKORATION.

das Gute gar nicht mehr unmittelbar zu erkennen
vermögen. Vor allem sind unsere Wünsche unge-
sund geworden in weitestem Umfange. Durch
das ganze Volk geht das törichte und widerwärtige
Streben nach dem Schein. Der Bauer will nicht
mehr seine Tracht, seinen naturwüchsigen Häuser-
bau, seinen gut bäuerlichen Hausrat, sondern äfft
städtische Halbkultur nach, und der Städter begnügt
sich nicht mit dem Gediegenen, sondern strebt nach
dem Luxus. Das Surrogatwesen ist als eine wahre
und fürchterlichste Pest in alle Handwerke einge-
zogen, und die Augen der Masse sind so blöde,
ihr Gefühl ist so schamlos geworden, dass man die
lumpigste Karikatur der Luxus-Kunst verlangend
bestaunt und vor dem gediegen Einfachen ver-
ständnislos vorübergeht. Gerade unsere landläufigen
Wohnungs-Einrichtungen lassen den geradezu ver-
zweifelten Tiefstand des ästhetischen Empfindens
der Menge nur allzu deutlich erkennen. Ein
Verständnis für Arbeits- und Material-Wert, für
praktische Vorbedingungen und gute Verhältnisse
ist einfach überhaupt nicht vorhanden, das muss
schonungslos behauptet werden, und jedes »Aus-
stattungs-Geschäft bei billigsten Preisen« beweist
es. Der gerade Mode gewordene Schnörkel ist
alles, worauf sich das Sehnen dieser Sinnblöden
richtet. Vor Jahren brauchten sie die Profil-
Häufungen, den »Muschel-Aufsatz«, jetzt die
Peitschen- und Regen wurm-Linie, — nicht aus
eigenem Geschmacks-Gefühl, sondern lediglich, um
modern zu scheinen, um — mitzumachen ! Wohlfeil
sind diesen Vielzuvielen diejenigen Möbel, bei denen
trotz geringsten Preises »alles da« ist, ganz gleich
in welcher Verlottertheit oder Schwindelhaftigkeit
der Ausführung; zu Tausenden fraist die Maschine
den geliebten Muschel-Aufsatz für grobe Augen
zurecht; grünes Holz ist billig, besonders wenn's
recht dünn genommen wird; der Drahtstift ist viel
schneller als der Leimtopf zu brauchen; das Fournier
»decket der Sünden Menge«, und so entsteht der
fürchterliche Plunder, der das »Deutsche Heim«
vom Kunst-Standpunkt aus zu einem Narren- und
Siechenhause macht.

Wird die neue Kunst nun etwa Mode, so wird
nicht etwa ihre Art zu schaffen verstanden, sondern
auch nur eine Summe von Äusserlichkeiten aufge-
schnappt — zur Zeit z. B. die lange Linie — und
nachgeahmt. Der Gross-Betrieb in Schleuder-Waren
richtet seine Maschinen auf die neuen Kringel und
Schnörkel ein; die Konkurrenz sorgt für immer
vermehrte Zierraten für's liebe Geld, und wir sind
schliesslich um viele neue Mätzchen, aber nicht um
ein Atom Kunst-Sinn reicher geworden. — Dieser
zerstörenden Wirkung ungesunder Anschauungen,

die sich aus dem vorigen Jahrhundert äusserster
Versumpfung unserer Empfindungen herüber-
geflüchtet haben, kann nur dadurch begegnet
werden, dass vor allem das eiserne Gesetz erkannt
und geachtet wird: Wohlfeilheit ist nur durch
Zurückhaltung im Überflüssigen zu erreichen.
Die Billigkeit, wie sie jetzt landläufig, ist und bleibt
das furchtbarste Gift, weil sie im letzten Grunde
nichts als Lüge und Betrug ist. Sind zwei Schränke
z. B. gleich teuer, von denen der eine allerlei Zier-
raten hat, der andere keine, so kann dieser Zierrat
nur auf Kosten der Solidität erreicht sein. Der
moderne Händler weiss zwar mit Phrasen das
Gegenteil zu beweisen und behauptet wohl gar,
die Kunst sei ja eben schöner Schein! — Ach,
beweist der nach wenigen Jahren auseinander-
fallende Plunder solchen Hausrates nicht am
deutlichsten, dass in der angewandten Kunst gerade
Material-Gerechtigkeit, Dauerbarkeit und vollendete
Ausführungsweise die Vorbedingung des — Schön-
scheinens sind, dass aber ein schöner Schein im
Sinne von Theater-Dekorationen hier gar keinen
Wert hat? Das ist es, was wir endlich lernen
müssen; jener Eigenschaften Wert müssen wir sehen
lernen. Das Auge muss sich darauf einstellen lernen,
z. B. einen gegossenen von einem ciselierten
Beschlag, ein gut gefügtes und furniertes Möbel
von einem schlecht gearbeiteten unterscheiden zu
können, es muss an den feineren Unterschieden
der Proportionierung der Teile zum Ganzen Genuss
finden lernen und nicht nur nach den Kringeln als
Merkmalen suchen, nach denen dem Ding die
Stilvokabel aufgehängt werden kann. Erst wenn
wir dieses eigentliche Verständnis erlangt haben,
können wir zum ästhetischen Genuss an unserem
Hausrat gelangen, indem wir dem Meister nach-
fühlen, welche Grundsätze ihn geleitet haben, welche
Proportionen ihm »klangen«, mit wieviel Feingefühl
er dem Bedürfnis nachging und daraus Motive
für seine Schöpfung herleitete.

Das Publikum muss aber dies Gefühl bekommen,
wenn anders die angewandte Kunst zu solchen
Werken gediegener Einfachheit zurückkehren soll;
denn so lange der Schwindel verlangt wird, muss
der Selbsterhaltungstrieb die Fabrikanten immer
wieder verführen, den Schwindel herzustellen. Erst
wenn er vertrauen kann, dass man seine subtileren
Mühen, die feineren Reize in der allgemeinen
Anlage seiner Schöpfungen, nicht erst ihren
Aufputz, zu schätzen vermag, wird er solche Werke
häufiger auszuführen wagen und sie dann auch
noch wohlfeiler liefern können. Denn wir dürfen
nicht verkennen: der hohe Preis moderner Arbeiten
liegt ja allerdings zum Teil darin, dass die Künstler
 
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