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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 14.1903

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Lange-Dietharz, Willy: Zur künstlerischen Gestaltung des Gartens, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6711#0063
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INNEN-DEKORATION.

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Zur künlflerifchen Selfcilfung des Gartens, L

Pie Gestaltung des Gartens haben zu allen Zeiten
bei allen Kultur-Völkern im Wesentlichen
nur Äusserlichkeiten der Form und Farbe be-
stimmt. Der Inhalt, die Pflanzen, dienten nur diesen
beiden, sich ihnen unterordnend. Die Erkenntnis,
dass der Pflanze durch ihre fremde geometrische Form
Gewalt angethan werde, führte zur »sogenannten«
natürlichen Gestaltung, zur »Landschafts-Gärtnerei«.
Der formlose »Urgarten« mit seinen nur nützlichen
Zwecken stand im Banne der menschlichen Unter-
ordnung unter die Natur; der »Kunst-Garten« mit
seinen »künstlerischen« Formen brachte die ein-
gebildete Überordnung und Herrschaft über die
Natur zum Ausdruck; der »Natur-Garten« unserer
Tage will der Erkenntnis unserer Stellung in der
Natur als erste unter gleichberechtigten Wesen,
dem Zusammenhang aller Natur-Geschöpfe in ihrem
auf einander angewiesenen Zusammen-Leben in
»künstlerischer« Gestaltung gerecht werden.

So kann die neuzeitliche Garten - Gestaltung
nur auf wissenschaftlichem Natur-Erkennen beruhen.
Diese Gestaltung wird »künstlerisch« durch die
Menschliche bewusste Nachschöpfung, welche, wie
lede andere Kunst die Edelziele (Ideale) der Natur
darzustellen sucht. In der bewussten Schöpfung
einer natürlichen Landschaft mit Fernhaltung alles
Feindlich-Schädlichen und mit gleichzeitiger Voll-
kommenheit ihres Inhaltes — die von der Natur
W ihren Geschöpfen gewollt, aber nicht erreicht
wird, deren Absicht wir aber künstlerisch ahnen -
liegt der Unterschied zwischen der »Natur-Za«^-
schaß« (mit ihrem unbeschränkten Wettbewerb des
Einzelwesens um Mittel zum Leben) und dem land-
schaftlichen »Natur-Garten«. Denn im Wesen des
Garten-Begriffes liegt der Schutz der Pflanze bei
ihrer Pflege durch Menschen-Hand; der Natur-
Garten kann demnach nie zur Wildnis werden, trotz
aller Natürlichkeit des Inhaltes und der Form, die zu-
sammen seinen künstlerisch-natürlichen Stil ergeben.

Die Aufgaben der Garten-Gestaltung unserer
Zeit scheinen also bestimmt vorgezeichnet und keiner
Weiteren Besprechung zu bedürfen: »Wir prüfen
die »Natur« und bilden nach ihr einen Garten,
mdem wir alle natürlichen Erscheinungen in Pflege
nehmen, gleichsam übernatürlich — das heisst eben
»künstlerisch« — liebevoll den Kampf der Einzel-
Wesen schlichtend.« Dass nun nicht alle Gärten
So sind, wie vernünftige Erwägung fordert, hat
seinen Grund in der gewerbsmäßigen Ausübung
der Garten-Gestaltung. Wie überall wiegt das Ge-
wicht der Beharrung schwerer als das des Fort-
Schrittes; immer gibt es eine Kunst-Anschauung

Zurückgebliebener mit mannigfachen Übergängen
zu der Fortgeschrittener. Der Garten - Gestaltung
hat es lange an Vertretern mit eigenem Urteil auf
Grund allgemein wissenschaftlicher und künstlerischer
Durchbildung gefehlt, an einer Lehre vom »Schönen«
in der Garten-Kunst. Das Schöne lässt sich nun zwar
zum letzten entscheidenden Maß der Empfindung,
aber nicht zur lehrbaren Grundlage einer Kunst
machen, die nach neuzeitlicher, oben angedeuteter
Erkenntnis so innig mit der uns gegebenen Natur
zusammenhängt, wie keine andere Kunst-Übung:
ihr Stoff ist selbst natürlich, während Malerei und
Bildnerei die Natur in Stoffen darstellen, welche den
vorbildlichen Wesen fremd sind. Wir dürfen also bei
Betrachtungen über künstlerische Garten-Gastaltung
nicht vom empfundenen Schönen ausgehen, sondern
vom erkannten natürlichen und zweckmäßigen Zu-
sammenhang aller Erscheinungen.

Noch bevor die Garten-Gestaltung allgemein
in ihre verstandesmäßigen Grund-Gesetze hinein-
gereift ist, tönt von neuzeitlich-künstlerisch Empfin-
denden der Ruf nach zeitgemäßen »Formen« auch
für sie. Hierin liegt die grosse Gefahr, dass der neu-
zeitliche Formen-Schatz, welcher heute viel rascher,
als es ihm früher möglich gewesen wäre, zu allge-
meiner Anerkennung gelangt, willkürlich-äusserlich
dem Garten aufgeprägt wird, wie einst die uns
heute erstarrt erscheinenden Linien-Zeichen früherer
Formen-Sprachen. Den Grundzug der neuen Form,
die »freie Linie« mit ihrer verborgenen Gesetz-
mäßigkeit, ihrem versteckten Gleichgewicht hat die
Garten-Gestaltung auf der Fläche ihrer Anlagen
im Suchen nach »Natürlichkeit« schon lange ange-
wandt, bevor sich die übrigen schmückenden Künste
ihrer annahmen. Die heute geschmähten Kringel
Formen der Gartenteile zeigen sie in ermüdender
Wiederholung. Wie es vielen unerträglich ge-
worden ist, in jedem Garten die schlängelnden Wege
zum Einteilungs-Grund der Fläche gemacht zu
sehen, so würde die äusserliche Anwendung neu-
zeitlicher Formen, welche den anderen Künsten
entlehnt sind, nur zu einem durch unsere Natur-
Anschauung überwundenen, dem Wesen des Gartens
widersprechenden Formen-Zwang führen, aber nicht
zu einem »modernen Stil«, dem Ziel aller Künste. Der
Garten-Stil besteht aus den Beziehungen zwischen
Inhalt und Form, wie der Stil jeder anderen, echten
Kunst diese Zwei-Einheit zum Ausdruck bringt.
— Darum müssen wir die Form eines Gartens
seinem Inhalt entnehmen; diesem gilt unsere ganze
Aufmerksamkeit, jene ergibt sich aus ihm.
(Fortsetzung im nächsten Hefte.) Willy lange—Dietharz.

1903. ii. 2.
 
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