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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 15.1904

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Jaumann, Anton: Die Ästhetik des Raumes, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11377#0248
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INNEN-DEKORATION.

243

ANTON HUBER — CHARLOTTENBURG.

Teilansicht des Wohn- und Speisezimmers für die Welt-Ausstellung
St. Louis IQ04. Ausführung: Hof-Möbelfabrik C. Prächtel—Berlin.

Die Ästhetik des Raumes.

Warum nehmen wir so wenig Notiz vom
Raum? Warum reden wir so häufig von
Linien, von Farben, von Flächen, und so
selten vom Raum? Jene haben ihre fröhliche Urständ
gefeiert, aber der Raum schläft noch; er schläft
unter der schwerlastenden Decke unserer Gleich-
gültigkeit. Denn er lebt und entfaltet sich nur
dann, wenn wir ihn zum Leben erwecken; er ist
nur durch den Menschen und für den Menschen.
Ist es nicht ein unbehagliches Gefühl, bei einem
Toten zu sein? Warum fürchten wir dann nicht
den toten Raum, der uns überall umgibt? Denn
überall ist er; er ist in der Leere und in der Fülle,
im geschlossenen Raum und im Freien; und er ist
tot und wartet, dass ein Prometheus ihm Leben
einhauche. Der Sinn fürs Räumliche ist noch
stumpf und taub in uns und wir haben uns noch
nicht erzogen, den Raum zu beachten, zu achten.
Unsere Anschauung der Wirklichkeit hat sich be-
reichert, verfeinert, gewiß; unser Auge hat sich

geschärft, unser Ohr vernimmt die feinsten Schwing-
ungen der Töne; aber die Sprache der drei Dimen-
sionen ist uns noch ein fremdes Idiom. So blieb
uns auch die Poesie dieser Sprache verborgen, weil
das Organ zu ihrem Verständnis fehlte oder un-
geübt war. Aber es ist Zeit, dass wir das Element
einmal näher kennen lernen, in dem wir leben und
uns bewegen, wie der Fisch im Wasser; wir wollen
es studieren und pflegen und Sorge tragen, dass
es ein gesunder, ein lauterer Raum sei, in dem wir
unser Leben verbringen, und dass alle Schönheit
in ihm erfüllet werde, dessen er fähig ist.

Der Raum. Er ist nicht die Luft, aber er ist
in ihr, wie er in jedem festen und flüssigen Körper
ist. Man kann ihn die Existenzform der Körper
nennen, aber er existiert auch ohne Körper, zwischen
Körpern, zwischen Flächen, zwischen Punkten. Er
dehnt sich aus von jedem Punkt nach allen Seiten,
und wir können uns keinen Ort denken, der nicht
in ihm läge; er erscheint uns unendlich.
 
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