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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Hillig, Hugo: Neue Dekorations-Malereien in Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0236

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222

NEUE DEKORATIONS-MALEREIEN IN DEUTSCHLAND.

VON HUGO HILLIG — HAMBURG.

Vor fünf Jahren hat Max Klinger auf die Um-
frage einer dänischen Zeitschrift, die sich auf
die Zukunft der bildenden Kunst bezog, u. a.
folgendes geantwortet, nachdem er dargetan, daß
mit den beiden in der Umfrage berührten Begriffen
Idealismus und Naturalismus die Entwicklungs-
möglichkeiten der bildenden Kunst nicht erschöpft
seien: »Unsere ethischen Anschauungen haben sich
verändert und ausgeweitet mit den sozialen. Unsere
Auffassung von der Kunst des Altertums hat mit
den Neufunden der letzten Jahrzehnte eine ganz
neue Basis erhalten in unbedingtem Gegensatz zu
der Winkelmann-Goetheschen Auffassung der
Antike. Unsere Licht- und Farben-Auffassung ist
im Laufe dreier Jahrzehnte eine ganz andere ge-
worden. Die Architektur fordert mit der Eisen-
konstruktion ganz neue Dekorationsbedingungen.
Die Erleichterung des Verkehrs gibt uns neue
Materiale in die Hand, ja auch die durch Sport
und Gymnastik erhöhte Körperpflege hat Einfluß
auf die Kunst. Die Teilnahme des Publikums an
künstlerischen Sachen ist enorm gewachsen — und
alles dies fast gleichzeitig und in gleichem Maße
in allen Ländern . . .«

Ein witziger Mann hat einmal gefragt, wie sich
wohl Goethe entwickelt hätte, wenn er sein Leben-
lang dazu verdammt gewesen wäre, die Vossische
Zeitung zu lesen. Wir können ähnlich so fragen:
Wie hätten sich wohl Marot, Watteau, Boucher
oder Tiepolo zur dekorativen Kunst gestellt, wenn
sie in der Gegenwart lebten und ihre Aufgaben in
der modernen Architektur zu suchen hätten?

Was hätte Marot, Boucher oder Tiepolo wohl
in einer Halle zu malen unternommen, wie sie
etwa die große Halle im neuen Hamburger Haupt-
bahnhof ist? Architektonisch ist diese Halle das,
was Klinger meint: sie stellt ganz andere Deko-
rationsbedingungen. Sie ist von ungeheuren Ab-
messungen in ihren Dimensionen, von ganz
abnormen Lichtverhältnissen (wir haben da Ober-
licht vom Glasdach und Seitenlicht von der riesigen
Glasschürze am Eingang der Halle). In der Kon-
struktion dieser Halle waltet nirgends Konvention,
das Eisenträgerwerk mit den zahllosen Nietenköpfen,
das die Halle bildet und trägt, ist gut genug, sie zu
schmücken, und es bleibt deshalb in all seiner
starren, gebändigten und disziplinierten Kraft sicht-
bar. Selbst in den Wartesälen versteckt sich diese
Eisenkonstruktion nicht und die Nietenköpf e müssen
gerade noch zum Schmuck dienen. Dazwischen

dehnen sich geputzte Felder, die dem Maler Platz
gewähren. Nicht etwa fein geputzt, als gälte es,
fein und glatt zu wirken; nein, ungeschlacht und
fast brutal sind auch diese Putzflächen, hoch und
grob aufgetragen. Was sollte der Maler nun noch
zimperlich sein? Er mußte nicht minder energisch
aufdrücken, wenn er auch gesehen sein wollte,
und so mußte er sich auf die einfachsten Form-
elemente beschränken, die nun, unterstützt noch
von einigen dekorativ - brutalen Kunstgriffen, in
ihrer ganzen Massigkeit auf den Beschauer wirken.

Der neue Hauptbahnhof in Aachen ist von
denselben Malern (Hemming und Witte, Düsseldorf)
dekoriert. Bei dem Hamburger Hauptbahnhof war
nur die Eisenarchitektur und die Anlage aus dem
freien Wettbewerb hervorgegangen; die in deutscher
Renaissance gehaltene Steinarchitektur steht dazu
in einigem Widerspruch, sie ist Regiearbeit
der preußischen Eisenbahnverwaltung. Das ist sie
bei dem Aachener Hauptbahnhofe jedenfalls auch,
denn hier hat man das Wesen des Bahnhofes in
romanischen Formen ausgedrückt, und der Maler
war wohl gezwungen, diesem stilistischen Ana-
chronismus einige Konzessionen zu machen. Die
Klippe freilich, zu romanisch zu werden und zu
echt, — etwa, wie der königlich preußische Haupt-
bahnhof zu Altona so gotisch ist, daß sogar die
Haupthalle dunkelbunt verglast und bei Tag in ein
anmutiges Dunkel getaucht ist,—diese Klippe hat hier
der Maler glücklich umsegelt gerade dadurch, daß er
einfache formale Motive, wie sie die Bauernkunst
jahrhundertelang in naiver Überlieferung aufbewahrt
hat, anwenden konnte. Es sei auch erwähnt, wie
systematisch man hier darauf ausgegangen ist,
die Schablone zu vermeiden. Im Wartesaal I. Klasse
sind an den Gewölben des Seitentraktes Muster-
ungen angebracht, die durchaus freihändig her-
gestellt sind, und natürlich wirkt eine solche
Musterung lebendiger, als eine schematische Schablo-
nierung; fraglich ist nur, ob es überall der Kosten-
punkt erlaubt, diesem Beispiel zu folgen. Es ist
interessant, zu verfolgen, wie sich die Malerfirma
in ihre Aufgabe einarbeitete und wie sie nach und
nach dazu kam, sich gerade diesen Formelementen,
wie wir sie in den Hauptbahnhöfen in Hamburg
und Aachen finden, zuzuwenden; auch der Haupt-
bahnhof in Essen a. R. ist von jenen Malern deko-
riert, und es zeigt sich hier noch ein zaghaftes
Suchen nach den Motiven, die sich mit der offenen
Eisenkonstruktion vertragen; in der großen
 
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