Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 20.1909

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Die Schicksale des Ornaments
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0253

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INN EN-DEKORATION

231

ARCHITEKT J. SCHNEIDER —ZÜRICH. SPEISE-ZIMMER IN DUNKELGRÜN EICHE. AUSF.: GYGAX & LIMBERGER—ZÜRICH.

DIE SCHICKSALE DES ORNAMENTS.

Das Ornament ist architektonischen Ursprungs wie
das ganze Kunstgewerbe. Das Primäre ist überall
die Baukunst; das Holz, das seiner ganzen Art und
Bearbeitungsweise nach fast als Stein von größerer
Fügsamkeit betrachtet werden kann, hat sich stets nach
dem Stein gerichtet und seine Schicksale mitgemacht.
Das gotische und romanische Kunstgewerbe, ja noch
das der Renaissance, sind strengstens an die Baukunst
angeschlossen. Es scheint, daß dem Menschen sehr
V]el daran gelegen ist, sein Haus, das seinen Stolz und
seine eigentliche Menschlichkeit ausmacht, in allen
möglichen Nutzgebilden zu wiederholen. Man sieht,
dal) nicht nur Möbel, sondern auch Waffen, Spiegel,
Türklopfer, Leuchter usw. in früheren Zeiten als allo-
trope Modifikationen von Baugliedern auftreten; selbst
rein plastischer Schmuck (Tierköpfc, Pflanzenorna-
unente etc.) wird nicht rein aus der Natur gewonnen,
sondern der Bauplastik entlehnt. Auch das Zeitalter
des Rokoko ändert daran nichts; es hat zwar keine
eigentliche Steinarchitektur, es ist dazu gewissermaßen
zu subjektiv. Aber es hat eine ganz bestimmte deko-
rative Linie, die es zunächst in seinen Bauwerken reift
Und entwickelt, um sie dann in seinen gewerblichen
Erzeugnissen zu wiederholen. Starkes Architekturgefühl
steckt noch im Kunstgewerbe der Biedermeierzeit,
allerdings nicht an eine starke zeitgenössische
Baukunst angeschlossen, sondern rein an der Antike

orientiert. In sich noch gut und geschlossen, aber
schon im wesentlichen retrospektiv — so hat vielleicht
das Kunstgewerbe der Biedermeierzeit die Dekadence
eingeleitet, der das Gewerbe so rasch und gründlich
verfiel und die ihren Grund in dem Mangel eines
architektonischen Orientierungspunktes hat. Was die
übrigen Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts gebracht
haben, ist bekannt: Schwinden des architektonischen
Gefühls, kulturlose Emanzipierung des Ornamentes.

Und dann erleben wir, erlebt unser ganzer Kultur-
kreis das erstaunliche Phänomen des Jugendstiles, des
ersten Versuches zu kunstgewerblichem Ausdruck,
welcher der architektonischen Orientierung völlig ent-
behrt. Die Welt erscheint hier auf den Kopf gestellt:
An Schränken, an Büfetts und dekorativen Teppichen
wurden die Eormen, die die Welt erobern sollten, ent-
wickelt und von hier aus auf die Fassaden wehrloser
Backstein-Rohbauten übertragen. Im Isartal bei München
sah ich kürzlich einen solchen »Tragelaphen« von
Villa, der bezeichnender Weise auch den Namen »Jugend«
trug. Die arme Giebelansicht schmachtete unter deko-
rativen Linien, die gewissen Kckmann-Teppichen ent-
nommen waren, die Balkongitter bogen sich in
Ornamenten, deren Herkunft in gerader Linie auf ein
Plakat von Ghristiansen zurückführte.

In dem Mangel jeder Beziehung zu irgend einer
Architektur sind sämtliche Irrtümer des Jugendstiles

1909. vir. 2.
 
Annotationen