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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 20.1909

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Schulze, Otto: Bürgerliche Wohnungs-Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0370

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346

INNEN-DEKORATION

LLOYD-DAMPFER GEORGE WASHINGTON. RAUCHSALON 1. KLASSE. ENTW.: PROF. BRUNO PAUL. AUSF.: VER. WERKSTÄTTEN.

BÜRGERLICHE WOHNUNGS-KUNST.

Wir haben uns daran gewöhnt, in der künstlerischen
Produktion auch mit wirtschaftlichen Verhältnissen
und Standesbegriffen zu rechnen. Von Deckers fürstlichem
Baumeister herab bis zu unseren Bestrebungen, auch den
breiteren Schichten, dem eigentlichen Volke ein ihm zu-
sagendes Kunstmilieu zu geben, offenbart sich uns eine
Entwicklungsreihe auf die Vereinfachung hin, die mit
der Mittelstandsbewegung einen inneren, einen moralischen
Zusammenhang hat. Wir beginnen, den Dingen mehr
auf den Leib zu gehen-, wir wollen uns nicht mehr auf
einen zweifelhalten äußeren Schein, auf die sogenannte
Aufmachung hin festlegen, die Jahrzehnte unter dem
Deckmantel des Beiworts »herrschaftlich« die Gegensätze
verwischte, worunter die Herrschaftlichen wie die Bürger-
lichen irj gleichem Maße litten. Die hochherrschaftliche
Wohnung war ebenso minderwertig wie die aus einem
Gelegenheitskaufe stammenden herrschaftlichen Möbel,
die nun bürgerliche Leute beglückten, die doch auch
standesgemäß zu leben sich für verpflichtet hielten. Der
Niedergang des gesamten Kunstgewerbes hing mit dem
Hange über seinen Stand hinaus zu leben, innig zusammen.

Der Formenwucher, die Kachierung, die Massen-
fabrikation von Schleuderwaren hat bekanntlich dem
Handwerk die allerschwersten Schädigungen gebracht und
jeden halbwegs vernünftigen, anspruchslosen Geschmack
zugrunde gerichtet. Ein Allheilmittel sah man nur in

der Rückkehr zur Schlichtheit und Ehrlichkeit, ja zu
einer gewissen Derbheit und Aufrichtigkeit; man besann
sich auf die Reste der Bauernkunst, um aus ihr eine neue
Volkskunst erstehen zu lassen. Unsere heutige Heimats-
kunstbewegung geht auf diese Vorläufer zurück. Unsere
Großeltern hatten davon bereits einen Vorgeschmack, es
war ein sich nach der Decke strecken, das Auskommen
im Rahmen der gegebenen Verhältnisse.

Unsere jetzige schnellebige Zeit können wir nun
nicht authalten, sie muß ihren Gang gehen, wir können
uns aber gewiß etwas langsamer schicken und brauchen
auch unsere Umgebung nicht über Nacht emporwachsen
zu lassen. — Die Flucht aufs Land ist gleichbedeutend
mit der Rückkehr zu natürlichen Verhältnissen, zu
ruhiger Entwicklung. Wir brauchen nicht überall
Maschinen, Treibhäuser und Brutapparate. Große Kulturen
wachsen langsam, wurzeln tief; sie sind beharrlich;
Ansätze, Wachstum gehen Hand in Hand mit der
Gewissenhaftigkeit besonnener und kluger Pfleger. Man
kann hier zunächst wirklich nicht auf einen ganz plötzlichen
Umschwung der Verhältnisse rechnen. Vom Louis seize
über Empire zum Biedermeierstil hat auch an die vierzig
Jahre gedauert; der Weg zu einfacheren Formen, was
nicht gleichbedeutend zu sein braucht mit einer Ver-
armung der Kunst, bietet mehr Hindernisse und Ver-
drießlichkeiten als der der Steigerung und Üppigkeit,
 
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