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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 20.1909

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Westheim, Paul: Soziale Verpflichtung des Kunstgewerblers
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https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0385

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INNEN-DEKORATION

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SOZIALE VERPFLICHTUNG DES KUNSTGEWERBLERS.

Alles gewerbliche Schaffen gründet sich auf soziale
l Notwendigkeiten. Daseinsbedürfuisse erheischen
ihre Befriedigung. Der Kunstgewerbler ist berufen, sie
formal zu organisieren. Wohnräume und Hausgeräte sind
a's Stützen der Lebensführung anzusehen. Der Mensch
pflegt die Beziehungen zu seiner ferneren und engeren
Umgebung zu ordnen nach den großen Richtlinien üb-
licher Konventionen, die mit den Lebenspiinzipien jeder
neuen Epoche sich wandeln, erneuern und fortentwickeln.
Die Gesellschalt wechselt im Lauf der Jahrhunderte
ihre Daseinsgeste. Jedem Umschwung folgt eine Er-
setzung der veralteten Gerätformen durch neue, den ver-
änderten Verhältnissen entsprechende Gestaltungen. Der
gewerblichschaffende Künstler steht damit vor der
Aufgabe, die hinderliche Unbequemlichkeit wegzuräumen
und dalür elementare Kristallisationen des
werdenden Zeitempfindens zu geben.

Eine Gesetzlichkeit, machtvoller als der Wille des
Einzelnen, bestimmt dies Bilden. Der freie Künstler
f°lgt lediglich dem zündenden Gedanken seiner Intuition.
Anders der Kunstgewerbler. Lösungen werden von
ihm gefordert, wo der andere freie Schöpfungen
zu geben hat. Das jeweilige Zeitbedürfnis erwartet von
ihm die nützliche und harmonische Stilisierung. Ein Diener
der Notdurft, ist in seine Hand die Macht gegeben,
dem profanen Dasein Würde und Form zu verleihen.

Zweckmäßigkeit, Brauchbarkeit, Sachlich-
keit wird von dem gewerblichen Gegenstand gefordert.
Er soll nützlich sein, soll seinem Verwender aufs Beste
dienen. Durch Behaglichkeit und Bequemlichkeit soll
er den Gebrauch zu einer Freude machen. Und wir
glauben in ihm einen Abglanz von Schönheit zu ver-
spüren, wenn er diesen unseren Interessen die vornehme
Befriedigung gewährt. Ein Verfahren, das Gebrauchs-
gegenstände nur als Anschauungswerte zu genießen
und zu beurteilen sucht, wird immer blindlings neben
dem Kern des Problems tasten. Ein Stuhl mahnt uns
rein körperlich, festzustellen, ob sein Hersteller jede
Möglichkeit aufgeboten hat, ihn aufs Beste unseren Be-
dürfnissen anzupassen. Die letzte Nuance an Behag-
lichkeit wird erwünscht und wo wir sie missen, sinkt
unweigerlich unsere Wertschätzung. Weder Form, noch
Farbe, weder Aufmachung, noch Kostbarkeit vermögen
uns darüber zu trösten. Nichts kann uns über die Tat-
sache hinwegbringen, daß hier eine Aufgabe geistlos,
unzulänglich gelöst worden ist. Ungetrübte Freude
stellt sich nur dort ein, wo der Notwendigkeit
die reine Form gefunden worden. Wider den
Menschen, der hierin versagt, richtet, sich unser Groll,
nicht allein weil er unser Geschmacksempfinden
verletzt hat, mehr noch weil er unsozial ist. Indem
der Schaffende sich jenen Anforderungen der Brauch-

1909. x. 4.
 
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