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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 21.1910

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Westheim, Paul: Gegen die Tradition - zur neuen Tradition
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https://doi.org/10.11588/diglit.11378#0292

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274

INNEN-DEKORATION

GEGEN DIE TRADITION

Für den Formen schätz, den ein Gewerbe nicht
entbehren kann, bedarf es der zuverlässigen
Tradition. Vielleicht gar der Konvention! Wo es
daran fehlt, sind Erzeugnisse schlimmer und schlimmster
Art beinahe unausbleiblich. Wir haben es erlebt, wie
vor einem Jahrzehnt ein wilder Wirbelwind durch alle
gewerblichen Gebiete raste, der die morschen Wurzeln
eines matten Eklektizismus auszureißen suchte, um den
Boden frei zu machen für — ja, für was denn ? Was
da eigentlich erstrebt, erwünscht und erhofft wurde, läßt
sich nicht so glatt definieren. Etwas gänzlich Neues, etwas
ganz und gar Beispielloses, etwas — man kann es nur
mit Negationen im Hinblick auf das Bestehende aus-
drücken. Der Wille war groß, denn es war ein jugend-
licher Wille, und er war zugleich unbesonnen, wie eben
die rasche Begeisterung der Jugend ist. Apostelnaturen
hatten das Credo formuliert, und die Schaffenden schleppten
sich mit dem Verantwortlichkeits-Bewußtsein und dem
Stolz des Missionars im Heidenlande. Daß dies reinigende
Gewitter wirklich eine Schwüle von uns nahm, ver-
spüren wir so recht erst jetzt. Die Intelligenzen, die
aus ganz fremder Sphäre in die Gewerbe hineinsprangen,
haben nicht nur neue Verheißungen, sondern
auch neue Werte gegeben. Persönliche Werte.
Und es dünkt mich, als ob man hier den Nachdruck auf
persönlich zu legen hat. Die Ausstrahlung von persön-
licher Kraft ist immer Kultur gewinn; wie aber stellt sich

ZUR NEUEN TRADITION.

die Bilanz für die Gesamtheit eines Gewerbes?
Der selbstschöpferische Künstlergeist kann sich souverän
über jegliche Tradition hinwegsetzen. Ihn treibt wohl
gerade die Lust, jenseits des gesteckten Rahmens einen
eigenen Ton anzugeben, selbständig neue Möglichkeiten
zu finden und zu erfinden. Hätten wir bei unserer
Rebellion nicht ein wenig alle Maßstäbe verloren, so
hätten wir schon längst eingesehen, daß wir nicht reich
genug sind an originaler künstlerischer Energie, um alle
Werkstätten und alle Fabriken mit den ursprünglichen
Kräften zu versorgen, die eigentlich notwendig wären,
um allen Arbeiten das erwünschte Niveau zu geben.
Durch abfällige Kritik, durch Raunzen und bitterliches
Klagen wollte man das auch so erzwingen — aber mit
den paar Paradestücken wars nicht getan. Deren vor-
nehmste Bestimmung ist wohl, zurückzuwirken auf die
breite Masse der gewerblichen Produktion, in den Werk-
stätten der Kleinmeister und Fabrikarbeiter Kräfte zu
wecken, damit das gesamte Niveau sich hebe.
Einige wenige Edelleistungen sind keine Entschädigung
für ein Übermaß an Geschmacksbarbarei ....

Hier steckt doch der Kern all der Bestrebungen,
die in gleicher Weise um den schöpferischen Künst-
ler, den Industriellen, den Handwerker, den tüchtigen
Arbeiter und den regen Lehrling werben. Für
den Künstler als Formengeber bedeutet das eine
Selbstbescheidung, zugleich aber auch eine
 
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