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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 22.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.11722#0219

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XXU. JAHRGANG.

DARMSTADT.

MAI 1911.

ÜBER ALLGEMEINE UND GEWERBLICHE ERZIEHUNG.

VON DIREKTOR DR. A. PABST—LEIPZIG.

Wie unser gesamtes allgemeines Erziehungs-
wesen in dem Erwerb von Wissen und
einer sogenannten allgemeinen Bildung seine Haupt-
aufgabe erblickt, so ist auch die gewerbliche Er-
ziehung — natürlich nur im allgemeinen gesprochen
—■ mehr oder weniger einseitig zu einer Abrich-
tung geworden, die den Lernenden zwar befähigt,
nachzuahmen und nachzubilden, die Kräfte des
Selbstschaffens aber nicht auslöst. Denn das Nach-
ahmen, und wenn es noch so geschickt ausgeübt
wird, ist immer nur eine Sache des Wissens und
des mechanischen Könnens und keine Betätigung
des eigenen Empfindens und Schaffens.

Alle Bestrebungen, hierin gründlich Wandel zu
schaffen, müssen bis auf die Elementarschule zu-
rückwirken ; schon in dieser muß eine Unterrichts-
methode einsetzen, die darauf hinausläuft, den heran-
wachsenden Menschen zur Schaffensfreude zu
erziehen und Kräfte des schöpferischen Ge-
staltens in ihm zu entwickeln. Dies kann nur
geschehen durch einen Unterricht, der die Jugend
lehrt, in irgend einem Material wirklich zu gestalten
und das lebendige persönliche Empfinden in Form
und Material zum Ausdruck zu bringen. Unser
heutiges Erziehungs-System nimmt auf die Er-

ziehung zur Freude an der produktiven und vor
allem an der praktischen Arbeit so gut wie gar
keine Rücksicht. Daß dadurch keine Erziehung
zur Schaffensfreude geleistet werden kann, ist voll-
kommen klar; wir ersticken die Kräfte, die in der
menschlichen Natur liegen, statt sie zu entwickeln.

Die erste Aufgabe, wenn wir zu einer wirk-
samen gewerblichen Erziehung kommen wollen,
wird also die sein, die allgemeine Erziehung so
zu gestalten, daß keine Kraft des Zöglings ver-
loren geht. Das hat schon vor mehr als hundert
Jahren der geniale Meister der Erziehungskunst,
Pestalozzi, richtig erkannt, wenn er sagt, daß alle
Erziehung und aller Unterricht nichts anderes sein
könne, als die Kunst, dem Haschen der Natur
nach ihrer eigenen Entwickelung Handbietung zu
leisten. Wir können natürlich nicht im voraus
wissen, ob die Jugend, die wir zu erziehen haben,
später in gewerblichen Berufen tätig sein wird.
Nur hervorragende Künstlerindividualitäten werden
sich schon in früher Jugend durch besondere An-
lagen und Neigungen bemerkbar machen, und
auch dies braucht keineswegs immer der Fall zu
sein. Also muß die allgemeine Erziehung umso-
mehr darauf zugeschnitten sein, allen angebornen

1911. v. 1.
 
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