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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 23.1912

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Westheim, Paul: Am Weg zum neuen Reichtum
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https://doi.org/10.11588/diglit.7710#0229

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XXlll. JAHRGANG.

DARMSTADT.

JUNI 1912.

»AM WEG ZUM NEUEN REICHTUM«

BETRACHTUNGEN VON PAUL WESTHEIM-BERLIN.

Die Askese der glatten Konstruktionsformen
soll also eine Notwendigkeit von gestern
gewesen sein; ein dekorativer Reichtum mit
Schnitzereien und Stickereien, mit Malerei und
Stuckplastik, mit ornamentalen Gebilden aller
Art wird von den Leuten, die sichs leisten können,
wieder ersehnt. Warum auch nicht? Schönen
Zierrat, Fülle und Überfülle zu lieben, kann keine
Schande wider den guten Geschmack, kein Ver-
brechen wider die Kunst sein. Nur der Dog-
matiker wird sich darauf versteifen, daß Schön-
heit etwas ganz Eindeutiges, etwas simpel Kon-
struiertes, etwas dürftig Zweckhaftes sein müsse.
Wie es Engherzigkeit und brutalste Nötigung
wäre, so man das künstlerische Schaffen ein-
zwängen wollte in ein paar Prinzipien, kann
natürlich auch keine Rede davon sein, daß des
Prinzips, der Bewegung, der Stilsorge oder der-
gleichen äußerlicher Gründe halber dem Raum-
künstler oder dem Kunsthandwerker verboten
werden müßte, seiner ornamentalen Phantasie
und seinem dekorativen Können freien Lauf zu
lassen. Was wiederum nicht besagen will, daß
es gar keinen Maßstab für das Schmuck- wie das
Kunstschaffen gäbe! Sonst müßte ja alles, was

einem so den lieben Tag geboten wird, als be-
wundernswert angestaunt werden. Der Maßstab
für eine künstlerische Leistung kann aber nur aus
dem Kunstwerk selbst genommen werden.
Gegenüber den Schmuckbestrebungen der Zeit
werden wir also mit Begriffen wie Sachlichkeit,
Zweckmäßigkeit, Materialgerechtigkeit nicht mehr
auskommen. Diese Vokabeln mögen an sich nicht
schlecht sein, mögen dem Gestalter, der nichts
als den Zweck und die Sachlichkeit wollte, zu
schönen Erfolgen verholfen haben. Deshalb
braucht man den anderen Künstler, der über sie
hinauslangt zu neuen Möglichkeiten, keineswegs
auf sie festzunageln. Er als der schöpferische Geist
hat die Freiheit, alte Tafeln zu zertrümmern, wenn
er nur das, was er sagen will, überzeugend
ausdrückt, wenn nur seine Neuheit als echtes
Kunstwerk die Sinne gefangen nimmt.
Die Gefahr ist eben nur die, daß um der Neu-
heit, um der »Mode« willen die Dinge falsch
eingeschätzt werden. Der Eine, der Ausgezeich-
netes schafft innerhalb eines Spielraumes, der
plötzlich aufgegeben werden soll, wird mißachtet,
obgleich seine Leistungen nach wie vor voll des
künstlerischen Esprits bleiben. Der Andere, der

1912. VI. 1.
 
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