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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 24.1913

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Waentig, Heinrich: Moderne Zivilisation und Kultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.7709#0082

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INNEN-DEKORATION

ARCHITEKT WILLIAM RICH. LETHABY IN LONDON

WOHN-HALLE IM HAUSE »AVON TYRREL«- HAMPSHIRE

MODERNE ZIVILISATION UND KULTUR

Das Sehnen nach künstlerischen Erlebnissen,
besonders nach einer künstlerischen Gestaltung
unserer häuslichen Umgebung als Gegengewicht
für die sachliche Nüchternheit unserer beruflichen
Existenz ist in der Neuzeit nicht geringer, sondern immer
größer geworden. Es ist das Verlangen, dem »Sklaven-
tum des Augenblicks« zu entrinnen, der Wunsch nach
Ruhe im geistigen Genießen, nach einem stillen Sich-ver-
senken in ein Dasein, dessen festliche Stunden von keiner
Roheit des Existenzkampfes getrübt, dessen Summe dem
freien Fluge der Fantasie gewidmet wäre, niemals stärker
als in einer Zeit, die wohl unser Außenleben immer reicher,
wenn auch immer künstlicher, unser Innenleben dagegen
schon durch die beständige Störung seelischer Konzentra-
tion immer ärmer gemacht hat. Der Natur entfremdet, su-
chen wir in der Kunst die Einheit wiederzugewinnen, die
uns im Teilmenschentum der sozialen Wirklichkeit unwie-
derbringlich verloren scheint. — Seltsam mutet es uns an,
wenn wir lesen, daß man zunächst Kunstwerke wie an-
dere Güter für den Markt liefern zu können glaubte, daß
man meinte, man brauche nur die Industrie mit Muster-
zeichnern zu versorgen, um eine neue Blüte der dekorativen
Kunst heraufzuführen. Heute weiß man, daß es sich
kulturpolitisch um ein weit komplizierteres Problem

handelt, daß man Kunst nicht ohne weiteres lehren kann,
daß es viel mehr gilt, latent vorhandene künstle-
rische Schöpferkraft zur Betätigung, künstle-
rische Genußfähigkeit zur Entwicklung zu bringen,
um allmählich für das ganze Volk annähernd jenen Zu-
stand wieder herzustellen, wie er für den primitiven
Menschen charakteristisch ist, jene Einheit zwischen
Schaffen und Genießen. — Heinrich waentig.

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\/[ an wird nicht leugnen können, daß vom Standpunkt der
Volkswirtschaft die künstlerische Veredlung der ge-
werblichen Produktion als ein nationaler Gewinn zu
betrachten ist, daß alle die Opfer, die der Staat für die
ästhetische Erziehung des Volkes bringt, sich auch wirt-
schaftlich bezahlt machen werden. Die moderne
Kunstgewerbe-Bewegung scheint dazu bestimmt, uns mit
der Zivilisation unserer Zeit zu versöhnen, indem sie
ihr Wesen ästhetisch zum Ausdruck zu bringen
sucht, sie erfüllt die Bestimmung aller Kunst: sie folgt
der Zivilisation und vollendet sie zugleich, indem sie
die Wirtschaft zur Kultur emporbildet, und erst damit
erlebenswert macht. — Denn was ist das Menschen-
leben, wenn man ihm nimmt, was die Kunst ihm
gegeben hat? — Heinrich waentig (»Wirtschaft u. künst«).
 
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