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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 26.1915

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Jaumann, Anton: Über Architektur-Kritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7711#0135

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INNEN-DEKORATION 113

Präsentation. So bauen die Zwecke das Haus von innen.
Charakter und Lebensweise des Hausherrn, der Familie
bestimmen den Charakter des Hauses. Wieviel leben-
diger, blutwärmer wird unsere Architekturbetrachtung,
wenn wir die treibenden Kräfte in den Formen, Verhält-
nissen, Dispositionen mitsehen: Den Familiensinn, die
ordnende Disziplin, die Gastlichkeit, den großen Zug.

Was vom Baukörper gilt, gilt ebenso von den Einzel-
heiten. Fenster und Türen sind dem »bloßen Auge«
nichts als willkürliche, mehr oder weniger malerisch ver-
streute Öffnungen in der Wand. Optisch fungieren sie
nur als Unterbrechungen der Fläche. Die denkende und
fühlende Betrachtung sieht hier die Augen des Hauses.
Jeder Raum öffnet sich gegen Luft und Licht, er sehnt
sich nach Sonne, er schließt sich ab und will doch zu-
gleich mit der Welt da draußen in steter Verbindung
stehen. Durch die Offnungen verrät sich der Organismus
des Hauses, seine Gliederung in große und kleine Räume,
in hohe und niedere, die Schichtung der Stockwerke.
Es scheiden sich die bedeutenderen von den Nebenräu-
men; nach den Eingängen und Treppen orientiert sich die
gesamte Anlage. Wir sehen das Auf und Ab der Trep-
pen, das Gehen in den Korridoren, das ruhende Schauen
am Fenster. Sogar aus dem Dache lugt es noch welt-
und lichtgierig hervor, auch unter der Decke der Ziegel
haben sich noch Räume eingebettet.

Ähnlich werden uns dann die Erker und Risalite
lebendig, die Anbauten und Einsprünge, Veranden und
Balkone. Die Veranda z. B. ist rein optisch gar nicht zu
verstehen, meist bedeutet sie eine Zerstörung der »schö-
nen« Fassade. Aber sie gewinnt alsbald Form und Sinn,
sowie wir die Gesellschaft mitsehen, die sich unter dem
zeltartigen Dach versammelt, die Tische und Pflanzen und

die frische Abendluft, die unbehindert über die Menschen
hinstreichen kann. Nun ordnet sich alles in den Gesamt-
organismus des Hauses ein, die Harmonie ist wieder da,
die das Auge erst vermißte. Es ist eben ein fundamen-
taler Irrtum, das Haus als ein in sich beruhendes Bild zu
betrachten; nur als Hülle und Gerüst für das häusliche
Leben, für Familie, für den Gesellschaftskult ist es ganz
zu verstehen. Ein Teil wird erst durch den andern in
seiner zweckvollen Schönheit klar. In gegenseitiger Be-
dingtheit greifen sie ineinander.

Die formal-optische Betrachtung nimmt auch keine
Rücksicht auf Material und Technik. Ob eine Säule aus
Stein oder Gips besteht, ist ihr, sind die Formen gleich,
grundsätzlich bedeutungslos. Das heißt aber soviel als:
Das Material mit seinem interessanten Charakter, seiner
Schwere, Kraft, Sprödigkeit, Elastizität, spielt überhaupt
keine Rolle, um soviel ist der Eindruck an Leben und
Gehalt ärmer. Das heißt aber auch: Die Formen werden
überhaupt nicht richtig verstanden, nicht richtig gesehen.
Wer nicht das breite Lagern des Steines, die gesammelte
Kraft des Eisens fühlt, sieht Tod, wo Lebensfülle ist.

Es ist klar, daß zum Genuß architektonischer Schön-
heit die Fähigkeit Voraussetzung ist, Architektur zu
sehen. Nur wer sein Auge geübt hat, bei jedem Bau das
innewohnende, formbildende Leben mitzusehen, kann
seine Schönheit wirklich beurteilen. — Wann ist nun ein
Bau »schön« ? Auch diese Frage löst sich jetzt. Das
hübsche Bild, die fein berechneten Proportionen tun es
nicht. Alles, was das sich einfühlende Auge mitsieht,
muß gesund, kraftvoll, harmonisch sein, Äußeres und
Inneres müssen eine unlösbare, lebens- und ausdrucksvolle
Einheit sein, dann erst wird das Haus die Kritik von Auge
und Gefühl voll befriedigen......a.jaumann-Berlin.

ARCHITEKT HEINRICH STRAUMER-BERLIN. SCHREIBTISCH IM HERRENZIMMER DR.O. DUNKEL NUSSBAUMHOLZ MATT
 
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