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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 26.1915

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Michel, Wilhelm: Zur kosmologischen Anschauung der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7711#0344

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320

INNEN-DEKORATION

ENTW. U. AUSF: GUST. DÖREN —HAMBURG SCHRANK IM NEBENST. SPEISEZIMMER

ZUR KOSMOLOGISCHEN ANSCHAUUNG DER KUNST

Ein Gedanke ist es, der sich jedem Menschen irgend-
wann einmal aufdrängt und mit dem er sich ausein-
andersetzen muß: der Gedanke, daß Welt und Leben
fragmentarisch seien. Die Beobachtung, die zu diesem
Gedanken führt, ist ganz allgemein gesprochen die, daß
vieles Gedachte nicht zu einer Verwirklichung, vieles
Keimen nicht zur Blüte, vieles bedeutungsvolle Geschehen
nicht zu seinem Ausdrucke kommt.

Auf Ausdruck und auf Dokumentierung ist die
ganze Welt angelegt. Mit Gier erfassen unsere Sinne
die Formen dieser Welt; nicht nur, weil uns selbst das
Schauen lieblich und trostreich ist, sondern weil auch die
Objekte sehnlich nach dem Geschautwerden verlan-
gen. Ein Ding, das nicht in irgend ein Bewußtsein tritt,
ist nicht im vollen Sinne wirklich geworden.

Den Künstler und den Dichter charakterisiert ein
Solidaritäts-Gefühl mit allem Geschehen. Es
gibt in der Seele des Künstlers ein unmittelbares, glühen-
des Interesse am Sein schlechthin. Das Sein an sich, das
Bestehen der Dinge an sich beglückt ihn. Daher auch
sein Bemühen, möglichst Vieles zu gestalten, wirklich zu
machen, was ohne seine Arbeit nicht zur faßbaren Er-
scheinung geworden wäre. So kann man von ihm sagen,
daß er die Summe der Dinge vergrößert.

Er tut dies aber nicht nur dadurch, daß er sich zum
Sprecher des Wortlosen macht und Geistiges verwirk-

licht. Auch an der gegebenen Wirklichkeit selbst
betätigt ebensosehr er seine zeugende Kraft.

Viele Menschen haben vor uns die Welt gesehen. Die
Entzückungen des hochgewölbten Himmels und der kühn
gebauten Erde sind an ungezählten Augen vorüberge-
gangen. Rechnerisch scheinen alle Möglichkeiten, den
ewigen Stoff unter eine neue Anschauung zu bringen,
längst erschöpft .... Aber sobald wieder etwas Freiheit
und Mut unter die Menschen kommt, zeigen sich immer
wieder Mittel, die Welt auf eine neue Weise zu sehen.
Und dies ist stets in gewissem Sinne einer neuen Welt-
schöpfung gleich zu achten.

Der Künstler vollends, der seine Weltschöpfung
aus sich herausstellt, ist in einem strengeren Sinne
als es die römischen Kaiser waren, »allezeit Mehrer des
Reichs«. Die Götter hätten auch wahrlich keinen Grund
zu ihrer ererbten Vorliebe für die Künstler, wenn sie an
diesen nicht berufsmäßige Helfer hätten in ihrem ewigen
Mühen, dem Chaos neueFormzu entreißen .... Für
den Künstler ist die Wirklichkeit Chaos. Zwar scheint
sie sattsam geformt und fest genug in die ehernen Gefäße
der Gestalten gebannt. Aber anders als in ihnen klingt
das orphische Lied in der Seele des Künstlers. In ihm
lebt und webt eingeborener Rhythmus, der kräftig nach
außen quillt und diese ganze Welt zur Trägerin seiner
Takte macht. Wie nach der Meinung der Okkultisten
 
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