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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 27.1916

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Jaumann, Anton: Die künstlerische Verantwortung des Architekten
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https://doi.org/10.11588/diglit.10023#0375

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XXV11. JAHRGANG.

DARMSTADT

OKTOBER 1916.

DIE KUNSTLERISCHE VERANTWORTUNG DES ARCHITEKTEN

von anton jaumann-berlin

Der Architekt kann nicht rasch entwerfen. Ge-
wiß würde der Stift die relativ kleine Fläche
der Zeichnung rasch bewältigen. Auch beim um-
fangreichsten Entwurf ist die rein zeichnerische
Leistung, quantitativ gemessen und im Vergleich
zum projektierten Bau, recht gering. Ja, der Ar-
chitekt, der einigermaßen geschickter Zeichner
ist, dürfte mit Leichtigkeit täglich den Entwurf
eines Schlosses liefern, soweit es nur auf die zeich-
nerische Darstellung ankommt. Nur solche »Leich-
tigkeit« verträgt sich auf keine Weise mit dem
Beruf des Architekten; und niemand wird behaup-
ten, daß es das Ideal architektonischen Schaffens
sei: nette, flotte Zeichnungen hervorzusprudeln.
Sie müßten den Stempel der Flüchtigkeit und man-
gelnder Überlegung an sich tragen. Und das ver-
eint sich mit dem Wesen der Architektur ganz und
gar nicht: Bauen ist die gewichtigste, langsamste
und zugleich dauerhafteste menschliche Tätigkeit.
Die schweren Stoffe, die umständlichen Verfahren
müssen den Charakter des Baues unter allen Um-
ständen beeinflussen. Und schon um dieses Schwere
der Achitektur auch in der Zeichnung zu treffen,
verbietet sich hier Flottigkeit und Flüchtigkeit. Wie
sollte der Architekt seine Striche leicht und flüchtig

ziehen, wenn ihm einigermaßen bewußt ist, was so
ein Strich bedeutet? Er ist soviel, wie eine Unter-
schrift, die über Leben und Tod, über Sein oder
Nichtsein entscheidet. Der Strich hebt Zentner-
lasten, er setzt hundert Hände in Bewegung. Was
hier fixiert wird mit der Geltung einer Urkunde,
das muß Generationen überdauern. Es ist etwas
anderes, ob ich eine Spitze kräusle oder der Front
eines Palastes eine leichte Krümmung gebe. Die
Wand muß den Stürmen trotzen. Alle Häuser der
Straße werden starrer durch diese Schwingung des
einen Nachbarn. Die Erinnerungen barocker Zeiten
werden heraufbeschworen, die eine Linie gibt viel-
leicht der ganzen Stadt und ihrem Leben eine neue
Note, sie kann die Architektur der Folgezeit be-
stimmen. Die Melodie dieser Linie singt in den
Herzen der Jugend, erheitert das Leben der Ar-
beit. Welche ungeheure Verantwortung trägt der
Stift des Architekten! Da mag ihm der leichte
Schritt vergehen! — Die Versuche, den Stil der
Architektur aufzulockern und zu beschwingen,
werden stets an dieser schweren Bürde der Ver-
antwortung scheitern. Der flotte, gespreizte, zier-
liche Strich erzielt im Stein nichts als oberfläch-
lichen Jugendstil........... a. jaumann-berlin.

1818. x. 1.
 
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