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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 27.1916

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Zweckmässigkeit, Qualität und künstlerische Gestaltung
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Winckelmann, Johann Joachim: Schönheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.10023#0486

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ZWECKMÄSSIGKEIT, QUALITÄT UND KÜNSTLERISCHE GESTALTUNG

Es ist eine bekannte Tatsache, daß gerade das Selbst-
verständliche sich am wenigsten von selbst versteht.
Wäre beispielsweise dem Handwerke und der Industrie
im Laufe der Zeit das Gefühl für das Selbstverständliche
in der Materialbehandlung und Formgebung nicht allmäh-
lich so gut wie gänzlich abhanden gekommen, wir hätten
vor rund zwanzig Jahren nicht wieder, wie Schuljungen
beim A-B-C, von vorne anfangen müssen. Und wenn
heute das Selbstverständliche im allgemeinen wenig-
stens, sich schon wieder von selbst versteht, so wissen
wir, daß damit ein seltener Idealzustand erreicht oder
wenigstens in greifbare Nähe gerückt ist. Dieses Selbst-
verständliche aber ist mit drei Worten ausgedrückt:
Zweckmäßigkeit, Qualität und künstlerische Form. Man
beachte die Steigerung, die in der Aufeinanderfolge dieser
Begriffe liegt. Das Zunächstliegende bei einem beliebigen
Gegenstand der Werkarbeit und Werkkunst ist, daß er
zweckmäßig sei, d. h., daß er dem Zweck dem er dienen
soll, zu genügen vermag. Dazu ist weiter nichts notwendig,
als daß der Gegenstand sich seiner Bestimmung nach
Form und Material genauestens anpaßt. Und damit wäre,
für primitivste Ansprüche, auch bereits ein Endziel des
Strebens erreicht. Aber schon die einfachste Wirtschaft-
lichkeit, die mit Abnutzung usw. rechnen muß, wird es
dem Verbraucher nahe legen, einen Gebrauchs- und
schließlich auch einen Luxusgegenstand nicht in der denk-
bar primitivsten Ausführung usw. zu erwerben, sondern
von ihm auch technische Qualität zu verlangen. Damit
wird sich der Käufer von Geschmack jedoch nicht zu-
frieden geben; er wird über die technische Qualität
hinaus, eine künstlerische Qualität beanspruchen, die
in der Formgebung Ausdruck findet. Die künstlerische
Form kann sich zwar von selbst dort ergeben, wo höchste
Zweckmäßigkeit und Qualität vereinigt sind; aber über
die Zweckform hinaus kann eine Steigerung der künst-
lerischen Wirkung auch erstrebt werden. Die vollendet
durchgebildete und durch die Qualität des Materials und

der Arbeit veredelte Zweckform wirkt gewiß an sich
schon künstlerisch und hat, in vielen Fällen wenigstens,
eine Steigerung durch eine bewußte künstlerische Form-
gebung nicht mehr nötig. Im Gegenteil; es kann dadurch
sogar die gute Form verwischt und verdorben werden,
besonders wenn unorganischer Zierat künstlerischen und
wohl auch materiellen Reichtum vortäuschen soll. Immer-
hin darf nicht verkannt werden, daß die künstlerische
Gestaltung über die Zweckmäßigkeit und die Qualität
hinausragt. Und wenn wir uns nach einer Zeit vielleicht
allzu großer Zurückhaltung im Dekorativen, wieder mehr
einer Periode reicherer künstlerischer Formgebung nähern,
so dürfen wir gewiß sein, daß die strenge Schule der
Zweckmäßigkeit und Qualität, durch die wir erfolgreich
hindurchgegangen sind, unseren Werkkünstlern zum Segen
gereicht hat..........................brg.

SCHÖNHEIT. Der Begriff der Schönheit ist wie ein
aus der Materie durchs Feuer gezogener Geist, wel-
cher sich sucht ein Geschöpf zu zeugen, nach dem Eben-
bilde der in dem Verstände der Gottheit entworfenen
ersten vernünftigen Kreatur. Die Formen eines solchen
Bildes sind einfach und ununterbrochen und in dieser
Einheit mannigfaltig, und dadurch sind sie harmonisch;
ebenso wie ein süßer und angenehmer Ton durch Körper
hervorgebracht wird, derenTeile gleichförmig sind. Durch
die Einheit und Einfalt wird alle Schönheit erhaben, so
wie es durch dieselbe alles wird, was wir wirken und
reden: denn was in sich groß ist, wird, mit Einfalt aus-
geführt und vorgebracht, erhaben. Es wird nicht enger
eingeschränkt oder verliert von seiner Größe, wenn es
unser Geist wie mit einem Blick übersehen und messen
kann, sondern eben durch diese Begreiflichkeit stellt es
sich uns in seiner völligen Größe vor, und unser Geist
wird durch die Fassung desselben erweitert und zugleich
mit erhoben.................... winkelmann.
 
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