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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 29.1918

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Lux, Joseph August: Der Fenster-, Tür- und Bett-Vorhang
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https://doi.org/10.11588/diglit.10022#0095

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XXIX. JAHRGANG.

DARMSTADT.

MÄRZ 1918.

DER FENSTER-, TÜR- UND BETT-VORHANG

VON JOSEPH AUG. LUX.

Ein Zimmer ohne Vorhänge gleicht einer Frau ohne
Toilette. Sie gehören gleicherweise dem Palast wie
dem Bauernhause an, wo ihr Ursprung und ihre Ent-
wicklung zu rinden ist. In der Kathedrale und im goti-
schen Haus würde man sie vergebens suchen. Dort sind
sie ersetzt durch das Buntglas, »wo selbst das liebe
Himmelslicht trüb durch gemalte Scheiben bricht«. In
den gotischen Zimmern hatten nicht die Fenster, sondern
die Wände Vorhänge, figurenreiche, streng stilisierte
Wandteppiche, die die Stelle des Freskenbildes vertraten.
Allmählich griffen diese Behänge von der Wand auf das
gotische Bett über, wo sie zunächst in schüchterner
Form -als Bordüren an dem baldachinartigen Uberbau
auftauchten. Im wesentlichen kannte die Gotik eine
andere Form von Stoffbehängen nicht.

Der Humanismus brachte eine ganze Umwälzung von
Süden her. Er stieß die Fenster auf, er wollte Luft, Licht,
die ganze sichtbare Welt in seine weitgeschwungenen
Bogen und Arkaden einfangen, das Palastfenster und die
Palasttür gaben die Richtlinien für die neue Architektur,
das Bürger- und Patrizierhaus atmete den Geist der Re-
naissance. In den Bildern Tizians und Paolo Veroneses
wallen goldgelbe Damastvorhänge in offenen Loggien
und Hallen, in venezianischen Palästen zaubert außerdem
die Kunst der Filetspitze einen Schleierfall von Blumen,
Früchten und Allegorien vor das verwöhnte Auge. Die
Verbindung von Spitzenvorhang mit dem schwereren

Wurf von Samt und Damast ist eine Schöpfung der
italienischen Renaissance. Anfangs fallen die Formen
in strengen Linien nach dem Gesetz der gemessenen
Architektur; sie sind ein Bestandteil der Kostümfreude
jener Zeit, die auch den Wohnräumen ihre Kostümierung
gibt, edel an Gehalt, aber noch verhältnismäßig streng in
der Form mit seitlicher Raffung, um den Blick in die
Landschaft in einem sorgfältig bestimmten Ausschnitt
freizugeben. So wirkt der Vorhang mit als Rahmen. Die
kühne Phantasie eines Bramante, eines Michel Angelo
und Palladio bringen einen hohen Schwung in die Ge-
staltung, Kuppeln schwellen empor, Wolken türmen sich
zum Götterhimmel, die Möbel wölben sich, die Stoff-
architektur bläht sich zu üppigeren Formen. Alles er-
scheint gebauscht in dem schwelgerischen Barock, die
Tür- und Fensterbekleidung, die reiche Stoffgarnitur der
Baldachinbetten, die sich zu wahren Thronhimmeln des
Gottes der Träume entwickeln, ja selbst die Feldherren
auf courbettierenden Rossen in den Schlachtenbildern
sind nicht zu schauen, ohne daß sich eine faltige Draperie
teilweise über die offene Landschaft und das Feldlager
breitet. Die Tapezierer wandeln auf den Künstlerspuren
eines Poussin und Claude Lorrain. Freilich wandelt die
schwelgerische Sinnenfreude des 18. Jahrhunderts wieder
ab zur zarten, spieligen Grazie des Rokoko und der
Zopfzeit, die ihre Triumphe in der gesuchtesten Anmut
findet und zarte Gewebe mit raffinierter Sparsamkeit und

1918. III. I.
 
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