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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 29.1918

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Kraft, Leonhard: Ein Umzug fürs Rote Kreuz in Hellerau
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https://doi.org/10.11588/diglit.10022#0306

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290

INNEN-DEKORATION

SAMMLER-GRUPPE AUS DEM MAIENUMZUG VERANSTALTET FQR DAS ROTE KREUZ—HELLER AU

EIN UMZUG FÜRS ROTE KREUZ IN HELLERAU

So bedauerlich es immerhin sein mag, die harte Tat-
sache wird feststehen müssen, daß vergangene Zeiten
einen innigeren Zusammenhang zwischen dem Volks-
ganzen und der Kunst sahen, als ihn die Heutigen erleben.
Auch das Volksleben unserer Zeit in seinen mannigfaltigen
Erscheinungen bekräftigt das. Es ist in der Neuzeit ärmer
an Formen und Farben geworden. Viele Quellen, aus
denen es früher gespeist wurde, sind ganz versiegt oder
zu dürftigen Rinnsalen eingetrocknet.

Keinem Feste des Mittelalters fehlte der Umzug. Die
Zahl der Feste aber war groß, und der Drang im fest-
lichen Zug für etwas augenfällig einzutreten, dafür zu
werben, noch nicht einmal auf sie allein beschränkt. Mag
dabei der religiöse Ursprung vieler Sitten und Gebräuche
noch so stark betont worden sein, das weltliche Element
blieb nirgends ohne Bedeutung, zumal viel alte Über-
lieferung neben und in den kirchlichen Prozessionen und
Wallfahrten fortlebte. Sie drängte sich vielerorts sogar
eigenwillig vor, steigerte noch den Grad der Teilnahme,
und Volksfeste im wahren Sinne entstanden, mochten sie
sich rein äußerlich auch an kirchliche Feiern anschließen
und damit scheinbar fremdem Impuls bei diesem Schaffen
von Höhepunkten des Volkslebens folgen. Ein buntes
Durchwirken des gleichmäßig gewobenen Alltagteppichs
stellte sich ein, aber nicht nur für eine ausgesonderte
Volksschicht, sondern für das Volksganze, dem aus werk-
tätigem Mitarbeiten und schauendem Genießen bei diesen
Festen eine Fülle von Anregungen zufloß.

Der Humanismus brachte in seinen Folgen eine üble
Wendung. Mochte der festliche Umzug auch schon vor-
her oft genug politischen Zwecken gedient haben, jetzt
erhielt er, besonders im Süden, immer häufiger das Ge-

präge einer Staatsaktion. Hand in Hand damit ging eine
Steigerung des entfalteten Pomps; die Allegorie, diesem
Zuge besonders entgegenkommend, überwucherte, der
Volksumzug wurde zum Kostümzug, zum Fest bestimmter,
sozial höher stehender Kreise, an dem das Volk nicht
mehr mitschaffend, sondern nur noch als Statistenmasse
beteiligt war. Seinem Herzen blieb der Flitter fremd,
mit dem diese zum Staunen einer nur noch gaffenden
Menge behangen war. Unter der vorwiegenden Herr-
schaft des Intellekts tat sich zwischen Volk und Kunst
jene Kluft auf, die noch heute nicht wieder überbrückt
ist. Der Historismus wurde geboren; auch die Romantik
einer späteren Zeit konnte dem kein inneres Leben geben,
so daß er zuletzt im Kostüm stecken bleiben mußte. Die
Geschichte des Umzugs und seiner Gestaltung auf deut-
schem Boden gibt wie wenig andere Erscheinungen die
Belege für diese Entwickelung. Das fremde Reis der
Renaissance blieb gewiß nicht ohne Wirkung; doch konnte
es nur die Hülle ändern und damit jenen Zwiespalt zwi-
schen Kern und Schale hervorrufen, der das warme Leben
und Wachsen verscheuchte, bis endlich die taube Nuß
allein noch übrig war. Es genügt auf die letzten Aus-
läufer dieser Entwickelung, die Turn- und Schützenfest-
züge der jüngsten Zeit hinzuweisen, deren Glanzpunkte
gerade der großen Volksmasse am wenigsten sagen
konnten. Ja selbst in die letzte Hochburg, in der sich
Reste des alten Volksschaffens lebendig erhalten hatten,
in die Karnevalszüge, hatte sich jener Geist umgestaltend
eingedrängt und das Vorbeiführen leerer Prunkstücke
vor einem staunenden Publikum erreicht.

Rudimente des alten lebendigen Gestaltens sind ja
noch erhalten und leben in Dreikönigsumzügen und an-
 
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