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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 30.1919

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Gleichen-Rußwurm, Alexander von: Kunst und Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.10021#0152

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KUNST UND HANDWERK

EIN MAHNWORT INS STAMMBUCH DER SCHAFFENDEN

In Wilhelm Meisters Wanderjahren sagt Goethe: »Allem
Leben, allem Tun, aller Kunst muß das Handwerk
vorausgehen, welches nur in der Beschränkung erworben
wird«. Ich möchte hinzufügen, aber alles Handwerk muß
von einem Strahl der Kunst beseelt sein, wenn es in
seiner Art Vollendetes hervorbringen soll.

Beide hängen innig zusammen und haben in großen
Zeiten immer aufeinander gewirkt. In der Antike, im
gotischen Zeitalter, in der Renaissance und im 18. Jahr-
hundert zeigen sich die Gegenstände des Gebrauchs von
künstlerischem Formgefühl durchdrungen und die Kunst-
werke von selbstverständlichem Beherrschen des Hand-
werksmäßigen, das ist von Können, erfüllt. In unserer
Zeit hat die Maschine mit gefährlicher Ausschaltung
meisterlicher Eigenart die Liebe zum Werk dem Hand-
werker genommen und auch den Künstler verleitet, das
Schablonenmäßige dem freien Entwurf vorzuziehen, wo
es sich um die Kunst im Kunstgewerbe handelt.

Zu allem, was wir machen, gehört Liebe, sonst wird
es nie etwas rechtes, das dem Besitzer ans Herz wächst,
das Freude auslöst in der Werkstatt, wenn es vollendet
wird, beim Käufer, wenn er es erwirbt und seinem Haus-
rat einverleibt. Was treibt im Grund all jene Sammler,
die Altsachen den Erzeugnissen der eigenen Zeit vor-
ziehen (abgesehen von jenen, die aus Sport, Mode und
geschäftlichen Rücksichten Antiquitäten stapeln)? Es ist
die Seele, der Hauch des Persönlichen, der vom Schöpfer
ins Material überging und dem Käufer die Uberzeugung
vermittelt, daß derselbe Gegenstand von all seinen Ge-
nossen ein wenig abweicht, also individuelles Gepräge
hat, wie die Menschen trotz aller Gleichmacherei.

Eine Fabrik fertigt tausend Stühle an, tausend Brief-
beschwerer, tausend Rahmen, tausend Mäntel, einen wie
den andern nach der Schablone ohne Unterschied ausge-
führt, wie sie lieblos gezeichnet, kalkuliert und in Auf-
trag gegeben worden. Ist es wunderlich, daß der Arbeiter
dabei seinen Stolz und sein Selbstvertrauen verliert?
Warum ist der Fabrikarbeiter so leicht unzufrieden?
Weil er seine Stunden abarbeitet, ohne innerlich an den
Dingen, die entstehen, teilzunehmen. Das ist psychologisch
sehr leicht zu erklären. Um Abhilfe zu schaffen, muß
man deshalb das psychologische Gebiet in Betracht ziehen
und zuerst da, wo es am leichtesten möglich ist, bei der
Herstellung von Hausrat und Kleidung beginnen. —

Die Revolution des Künstlers und Handwerkers wird
gegen die Dutzendware gerichtet sein, die alles über-
schwemmt, die Straße, den Laden, die Wohnung bis in
die intimsten, heiligsten Räume. Wir wollen persönlich
werden, wenn wir es noch nicht sind, im Empfinden und
in allen Dingen, die uns umgeben, die tägliche Lebens-
genossen sind auf dem Weg durch eine, das Unpersön-
liche zu höchst steigernde Zeit. Das verträgt sich sehr
gut mit der politischen Entwicklung, deren soziale Seite
kulturfördernde Elemente zur Genüge enthält. Man ver-
gegenwärtige sich nur, daß William Morris, einer der
Gründer der modernen ästhetischen Bewegung, von so-
zialen Gesichtspunkten aus, ja als überzeugter Sozialist
Schönheit und Eigenart ins Kunstgewerbe, in Wohnung,
Garten und Leben trug. Hier muß angeknüpft, fortge-
setzt und weiter entwickelt werden, wenn wir nicht einem
Niedergang des gesamten künstlerischen und kulturellen
Zustands entgegentreiben wollen.
 
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