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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 30.1919

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Zucker, Paul: Das Ornament unserer Zeit, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10021#0154

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134

INNEN-DEKORATION

POSSENBACHER WERKSTATTEN—MÖNCHEN

BANK UND TISCH IN EINEM VORRAUM

DAS ORNAMENT UNSERER ZEIT

VON DR PAUL ZUCKER

Als Reaktion auf die indifferente und künstlerisch un-
lebendige Art der Nachahmung vergangener Stil-
epochen, wie sie das architektonische und kunstgewerb-
liche Schaffen von 1840 bis 1890 beherrschte, setzte,
zuerst in England, später und intensiver in Deutschland,
ein absoluter formaler Purismus ein. Mit der Vermeidung
jeglicher Zierform, mit der Proklamierung eines unbeding-
ten Sach- und Zweckmäßigkeitsstils entging man zwar
der Gefahr eine überlebte Ornamentik als unwahre Aus-
drucksform neuer Inhalte kostümartig zu verwenden, —
doch war dieser Vorteil letzten Endes nur ein Negativum.
Entwicklungsgeschichtlich zu begreifen, doch von jeder
absoluten Bewertung auszuschließen, mußte allen von
einem lebendigen Kunstfühlen Ergriffenen die Sachlichkeit
bald zur Kargheit, die Zweckmäßigkeit zur Pedanterie
und die »Materialgerechtheit« zur Langeweile werden.

Schon dreißig Jahre vor dem Einsetzen der neuen
Bewegung hatte Semper seinen rationalistischen Stilbegriff
aufgestellt, einen Begriff im Bereich des Ästhetischen,
der, ebenso wie die marxistischen Begriffe im Wirtschaft-
lichen, nur zu erklären ist als das Resultat des Übergreifens
naturwissenschaftlicher und materialistischer Denkweise
in das Gebiet der Geisteswissenschaften. Wie fast stets
im Verlaufe geistesgeschichtlicher Entwicklungen hatte

die Lebensdauer einer Generation genügt, den wissen-
schaftlichen Gedanken eines Einzelnen durchVerwässerung
und Popularisierung der Masse des deutschen Publikums
zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen und damit
zu trivialisieren.

So wurde das, was eigentlich nur Reaktion, überstarkes
Ausschwingen des Pendels geschichtlicher Entwicklung
nach der negativen Seite hin hätte sein dürfen, zu mehr
als einer Episode der kunstgeschichtlichen Entwicklung,
zu einem Dauerzustand. Armut an künstlerischer Ge-
staltungskraft fand ein wohldurchdachtes Netz ästhetischer
Gesetze und Forderungen, die Reichtum und Idee als
reaktionär verdächtigten und fast dogmatisch verpönten.
Ähnlich wie heute wieder zeichnerisches Unvermögen zu
, expressionistischer Ausdrucksform greift und damit letzten
Endes eine durchaus gesunde und berechtigteKunstrichtung
vor dem nicht unterscheidungsfähigen Publikum diskre-
ditiert. Das Experiment van de Veldes, die künstliche
Hochzüchtung einer neuen naturalistisch motivierten For-
menwelt war mißlungen, ein dünnblütiges und ungebärdiges
Nachrokoko hatte die Sprache seiner Linien vergebens
zum Pathos zu steigern versucht.

Fast 15 Jahre hindurch können wir dann nirgends
Ansätze zu einer formalen Weiterentwicklung feststellen.
 
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