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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 30.1919

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Michel, Wilhelm: Die geistige Umschaltung im Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.10021#0255

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INNEN-DEKORATION

235

SUPRAPORTE
OBER DER TOR
DES EMPFANGS-
RAUMES

DIE GEISTIGE UMSCHALTUNG IM KUNSTGEWERBE

AUSSCHNITT AUS EINEM BRIEFWECHSEL.

Sehr geehrter Herr!

Die Besorgnisse, von denen ich sprach, resümieren sich
höchst einfach in der einen, die Sie mir kaum werden
widerlegen können: Deutschland wird arm sein wie Hiob.
Die Dinge, die Sie im nächsten kunstgewerblichen Ma-
gazin sehen, sind nicht nur an sich kostbar; sie verlangen
auch eine kostbare Umgebung, sie setzen eine gesteigerte
Lebenshaltung voraus. Die Zeit widerlegt sie, seien wir
uns darüber klar. Alles außen und innen schlägt mit
Hämmern und Keulen auf unsere mühsam herangepflegten
Zweckkünste ein. Die Industrie liegt tot, die große Her-
stellerin und Auftraggeberin, ein riesenhaft hingestürzter
Kadaver. Ihre vielgeschmähten Arbeitshöllen entlassen
endlose dunkle Scharen hinaus in die Freiheit; in die
Freiheit, zu hungern und zu sterben. Die Politik? Die
Zusammenhänge sind ja endlos. Nicht zu reden von den
Märkten, ihrer Öffnung oder Schließung, von Zöllen und
Ausfuhrziffern, von Prestige und Marktgeltung. Aber
selbst nach der künstlerischen Seite hin: starke Antriebe
zur Reorganisation unserer Gewerbe sind aus dem Ver-
gleich zwischen Deutschlands politischer Machtstellung

und dem beschämenden Tiefstand seines Geschmackes
gekommen. — Sie werfen mir Kleinmut vor. Kann ich
mich hindern, folgerichtig zu denken? Beweisen Sie mir,
daß wir nicht arm sein werden; oder beweisen Sie mir,
daß unsere Zweckkünste durch unsere allgemeine Ver-
armung nicht mitveraimen werden. Dann will ich Ihnen
allen Optimismus zugestehen.

* * *

Sehr geehrter Herr!
Meinem Optimismus geschieht — wenigstens fasse
ich das so auf —■ eine Art Ehre damit, daß Sie Ihren
Pessimismus dagegen so ausdrücklich verteidigen. Wir
werden arm sein. Es scheint, daß uns davor kein Gott
mehr retten kann. Wir werden arm sein. Das kann ich
Ihnen nicht widerlegen. Vielleicht aber kann ich Ihren
Glauben an den Schluß erschüttern, den Sie daraus auf
den notwendigen Niedergang unserer Zweckkünste ziehen.
Deutschland ist nicht von heute oder gestern. Es ist
schon einmal nach langer Kriegsdauer und nach lang-
jähriger Überflutung mit feindlichen Heeren in einen
Frieden der Armut gegangen. Das war nach den napo-
 
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