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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 30.1919

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Westheim, Paul: Die Liebe zum Vorgestrigen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10021#0282

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262

INNEN-DEKORATION

ELSASSISCHE HOLZPLASTIK GEGEN 1500 MADONNA MIT KIND. TEILANSICHT

DIE LIEBE ZUM VORGESTRIGEN.

Der Philister wird es nie verstehen, daß die Kunst,
wenn eine neue Zeit kommt, aus dieser Zeit heraus
einen neuen, lebendigen Gehalt zu gewinnen sucht. Immer
wird er der Meinung sein, daß die Kunst der Alten noch
längst für die Neuen gut genug sei, daß es Veränderungs-
sucht, Unbotmäßigkeit, Modegier, frivoler Zynismus und
dergleichen Lasterhaftigkeit wäre, was diese »Neuerer«
immer wieder heraustreibe aus den Bahnen, die sich sehr
wohl doch bewährt hätten. Die alten Meister, die von
vor zwanzig, vor fünfzig, vor hundert oder etlichen hundert
Jahren zu übertreffen, das sei von solchen Stürmern doch
wohl nicht anzunehmen. Der guten Kunst sei in der Ver-
gangenheit überhaupt so viel gemacht, daß ein Bedürfnis
nach mehr, ein Bedürfnis nach anderem gar, nicht vor-
liege. Das gute Alte, das Abgelagerte und wohl Pati-
nierte, das Abgelebte und Konventionelle ist hier wie
überall ehrwürdig. . .

So ist es begreiflich, daß alles, was aus früherer Zeit
stammt, was in irgend einem Sinne Antiquität ist, über
die Maßen begehrt wird. Echt antik, echt Renaissance,
aus dem und dem Jahrhundert zu so fabelhaftem Preis
(fabelhaft hoch oder fabelhaft niedrig) erstanden, das
sind ein paar der Koseworte, mit denen die künstlerisch
gleichgültigsten, banalsten und lächerlichsten Dinge von
ihren verzückten Erwerbern gehätschelt zu werden pflegen.
Es ist ganz klar, daß sich in dieser Liebe zu Alter-
tümern gelegentlich ganz starke künstlerische Triebe

auswirken. Menschen von intensivster künstlerischer Er-
lebnisfähigkeit geben sich den großen Meistern, den un-
erschöpflichen Ewigkeitswerken hin und genießen dabei
Wonnen von unsagbarer Süße. Auch manche kleine
Leistung, manch artig erfundenes und empfundenes Werk-
chen, manch penible technische Arbeit in Kunst und
Kunsthandwerk erregen die Sinne. Gegen eine Verehrung
alles dessen, was frühere Zeiten schön und gut hervor-
gebracht haben, ist gewiß nichts einzuwenden; nur an-
maßliche Aufgeblasenheit konnte es bedauern, daß die
Kunst- und Geistesschätze der Vergangenheit ihrem Wert
nach geschätztund nachbestem Vermögen erhalten bleiben.
Allein es ist endlich einmal zu unterscheiden zwischen
dieser echten Hingabe an ein Werk älteren Ursprungs,
das nicht als Antiquität, sondern als ewig gültiger,
lebendiger Wert empfunden wird und dieser ein-
gebildeten Liebe zum Vorgestrigen, die Bilder oder
Holzskulpturen oder Ludwigsburger Porzellan oder Leb-
kuchenmodelle nicht anders begehrt, als sie Thum und
Taxis'sche Briefmarken sammeln würde, wenn das ebenso
in der Mode wäre. Das Pürschen nach alten Sachen hat
nämlich bei neun Zehntel der vielen Leute, die sich jetzt
dieses Sportes befleißigen. Formen angenommen, die
dabei an irgendwelches künstlerische Interesse kaum noch
glauben lassen. Man kauft das Alte nicht, weil es
Kunst, sondern weil es alt, weil es aus dem und dem
Jahrhundert, weil es von der und der Seltenheit ist. Un-
 
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