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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 32.1921

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Bunsen, Marie von: Einzeltisch oder allgemeine Tafel
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https://doi.org/10.11588/diglit.10457#0053

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I NN EN- DEKORATION

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KURHOTEL PETERSBERG, — KÖNIGSWINTER KL. SPEISESAAL. PILASTER: NYMPHENB. PORZELLAN

EINZELTISCH ODER ALLGEMEINE TAFEL

Scharf trennen sich die Ansichten der Hotel-, Gasthof- Gewiß,— man kann Glück haben; tatsächlich reisen

und Fremdenheim-Besucher in der nicht unwichtigen auch die angenehmsten, anregendsten Menschen. Aber

Frage: »Einzeltisch« oder »Allgemeine Tafel«. . . wohin reisen sie, warum sind sie nirgendwo anzutreffen?

Den Einen zählen zu den wertvollsten Vorzügen und Niemand hat eine Erklärung dieser befremdlichen Erfah-
Anregungen des Reisens das Anknüpfen neuer Bezieh- rung vorgebracht! Teueres Geld zahlt man, um unter
ungen, die Er Weiterung der Bekanntschaften, des Gesichts- gepflegten und harmonischen Bedingungen Speise und
kreises. Sie leben in der Kleinstadt, innerhalb des eng- Trank zu sich zu nehmen. Da verlangt man seine Ruhe,
begrenzten Honoratiorenkreises, sie leben auf dem Land, da soll nicht der Biedermann einem die Nerven reizen,
wo nur die >ewige« Nachbarschaft in Frage kommt. Ja, indem er einem empfiehlt, sich doch ja die Sixtinische
auch bei vielen Großstädtern beschränkt sich die Gesellig- Kapelle anzusehen, da soll der andere Banause einen
keit auf den Verkehr mit Kollegen und deren Familien, nicht zur Verzweiflung bringen durch die gewissenhaft
Jetzt kann der Zufall reizvoll Fremdartiges Tag für Tag genaue Statistik der genossenen Mahlzeiten, ihrer Vorzüge,
darbieten — eine Filmschönheit, einen exotischen Edel- Nachteile und Preise in den Gasthöfen der sechs letzten
anarchist, die ehemalige morganatische Gattin eines Tage. Dazu, meinen sie, seien sie sich wirklich zu gut,
Prinzen, einen namhaften Politiker, — die Möglichkeiten so tief brauche man auch aus prinzipiellster Gutmütig-
sind unbegrenzt! . . . Was hat man hingegen davon, keit nicht in den Wust alltäglicher Plattheit zu versinken,
allein oder mit dem Ehgemahl, als befände man sich all-

täglich zu Hause, am kleinen Tisch gelangweilt dazusitzen 1 Ich gehöre zu dieser zweiten Schicht, teile die Er-

Die Frage, so behauptet diese zweite Schar, braucht schwerungen dieser seelischen Einstellung: Denn wo der

überhaupt nicht ernstlich erwogen zu werden........ »Allgemeine Tisch« sich noch behauptet, steht man

Es erwidern die Andern: Grade weil das Reisen unweigerlich vor einem »Entweder — Oder«. Falls man
ein Vergnügen sein soll, grade weil man sich erholen sich zuvorkommend, nett und eingehend mit seinen Nach-
will, sträuben sie sich auf das Aller-Energischste dagegen, barn, seinen Gegenübern unterhält, liebt einen bald der
zweimal am Tag hilflos, rettungslos den übelsten Philistern ganze Tisch; so abgrundtief langweilt man sich jedoch,
ausgeliefert zu werden; nein, anöden lassen sie sich nicht, daß man entflieht und auswärts speist. Noch schlimmer

1921. I.-II. 4.
 
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