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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 32.1921

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Michel, Wilhelm: Der Segen der Widerstände
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https://doi.org/10.11588/diglit.10457#0070

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INNEN-DEKORATION

BUDAPESTER WERKSTATTE. LUDWIG KOZMA PAPIER-VITRINE IN WEISS, GELB UND ROT

DER SEGEN DER WIDERSTANDE

Jede neue Form-Anschauung begegnet in Kunst
und Architektur dem Widerstand der Traditions-
anhänger. Gegen diesen Widerstand schäumt das neue
Streben zornig, entrüstet auf, bewertet ihn oft als sinn-
lose Hemmung und liefert ihn, wenn seine Niederwerfung
gelungen ist, nachträglich der allgemeinen Verachtung aus.

In Wirklichkeit ist die Rolle der Widerstände
in der Kunst-Entwicklung von großem positivem Wert.
Es ist ganz unmöglich, sich ein sinnvolles, geregeltes
Fortschreiten der Kunst vorzustellen ohne diese zähe,
felsige, erdige Masse von Feindschaft und Ablehnung,
durch die jedes neue Formwollen sich zunächst durch-
wühlen muß. Unmittelbare Verwirklichung jedes Künst-
lertraumes, völlige Aufnahme jeder als möglich emp-
fundenen Form: — wäre das nicht Zerstörung jeder Linie
des Fortgangs, Aufhebung alles Zwanghaften und
Schicksalhaften, das doch das kraftvolle Kunstwerk
erst adelt und bestätigt?

*

Ich möchte den Widerstand, von dem ich hier
spreche, dem Chor in der alten Tragödie vergleichen:
er widerstrebt jeder Vereinseitigung in der Geistes-
laee der Hauptspieler, er empört sich gegen blindes
Wüten ihrer Leidenschaften, peitscht hier die Lässigkeit
auf zum Tun, mahnt dort an den Gott, den die Hybris
zu vergessen scheint. Er bildet so das große komple-
mentäre Element, ein Element der Ergänzung, das in
jedem Augenblick den Gegensinn zur Geltung bringt

und dadurch mitten im Toben der Leidenschaften das
Ideal des Einklangs, der menschlichen Besonnen-
heit und Totalität festhält und zu verwirklichen mithilft.
Der Widerstand gegen jedes neue Formstreben ruft dem
Künstler zu, was er vergaß oder absichtlich vernach-
lässigte. Er wirkt alspilter, der nur das wahrhaft
Starke passieren läßt. Er weist stumm und doch stark
auf das Beharrende und liefert so die Bindung des ewigen
Strebens zur durchlaufenden Kette. Er sichert die
Kunstgeschichte vor dem Einströmen von tausend halben
und falschen Tendenzen.

*

Der Widerstand ist Werkzeug der Verfestigung,
das allem geistig Entstandenen: Zeit, Volk und Erde
beimischt. Freilich tut er diese Dienste keineswegs
umsonst: da er Gesetz ist, wirkt er wahllos, blind und
immer gerade aus vor sich hin; der Preis, den wir für
sein Wirken zahlen müssen, ist Not und Leiden vieler
Trefflichen, die er mit harter Faust erwürgt hat. Zu-
gegeben, daß dieser Preis die Leistung kostspielig macht.
Aber entwerten kann er sie nicht. . . Wilhelm michel.

MATERIAL UND KUNST. Die junge Kunst sollte
wieder dahin kommen, das Ewige im Endlichen
zu suchen, aber in ihrer besonderen, neuen Form,
deutlich unterschieden von der Form früherer Zeiten.
Und da erscheint gerade das Darstellen im Material als
das Heilsame ... Im Sinnlich-Schönen ihrer Körper-
lichkeit muß die Kunst genesen. . . . prof f. h. ehmcke.
 
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