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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 32.1921

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Utitz, Emil: Kunsthandwerk und Industrie, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10457#0112

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KUNSTHANDWERK UND INDUSTRIE

VON PROFESSOR DR. EMIL UTITZ-ROSTOCK.

Vor mehr als dreißig Jahren erschien von Max
Kretzer, der damals als »deutscher Zola« gefeiert
wurde, ein Roman: »Meister Timpe«. Er schildert den
Untergang eines braven Handwerkers im erbitterten
Kampfe gegen die neue Fabrik-Arbeit. Zu Beginn der
Erzählung beschäftigt der Drechslermeister Johannes
Timpe acht Gesellen und lebt bescheiden, aber behaglich
und in durchaus geordneten Verhältnissen. Zum Schlüsse
jedoch steht die Werkstatt leer, das Häuschen ist völlig
verschuldet, der Meister ist gänzlich verarmt. Stets war
er unbedingter Freund der festen, durch das Herkommen
geweihten Gewalten in Staat und Welt; nun aber schreit
er seine verzweifelte Empörung hinaus: »Die Schorn-
steine müssen gestürzt werden, denn sie verpesten die
Luft ... Schleift die Fabriken . . . zerbrecht die Maschi-
nen !« Dann bricht er zusammen. Wie man seine Leiche
aus dem verlorenen Hause herausschafft, erschüttern ge-
rade begeisterte Hurrarufe die Luft; der erste Zug der
Stadtbahn fährt mit bekränzter Lokomotive vorüber:
Sinnbild der sinkenden alten, der aufsteigenden neuen
Zeit. Und diese neue Zeit eroberte die Welt. Mechani-
sierung durch steigenden Maschinenbetrieb, straffe
Organisation rationalisierten Arbeitsprozesses ward die
Losung. Feierte die Mehrzahl diese Errungenschaften
einer das Wirtschaftsleben bereichernden Technik und
Wissenschaft, diese sprunghafte Entwicklung, die unge-
heuere, fast phantastische Möglichkeiten ahnen ließ,
schwoll in der Minderheit glühender Haß, aufschwellend
bis zu nihilistischer Zerstörungswut; wichtig und bedenk-
lich als Krisen anzeigendes Symptom. Und mancher
Künstler zählte und zählt zu diesem kleineren Kreise.

*

Aus dem Chore dieser vielen Stimmen gebe ich
nur einer sehr eindringlichen und gewichtigen Gehör;
Schickele sagt in seiner »Genfer Reise«: »Statt die
Maschinen wie die Haustiere zu halten, die früher Pflug
und Wagen gezogen hatten und an irgend einer Deichsel
gegangen waren, wodurch ihr nicht nur Menschen ge-
blieben, sondern erleichtert, befreit, menschlich gewachsen
wäret, statt die Herren eurer Geschöpfe zu sein, erhobt
ihr sie über euch und machtet sie zu euerem schöneren
Ebenbild, ihr dämonisiertet sie, ihr machtet sie zu eurem
Götzen. Alle Götzen sind Kriegsgötter. Sie leben von
Blutopfern und sind den Menschen feind. Im Götzen
frißt der Mensch sich selber auf.« Aber »... eines Tages
wird man aus rasendem Verlangen nach der Unvernunft
die hervorragenderen Maschinenmeister und die aufge-
klärtesten unter den aufgeklärten in die Maschinen werfen
und alles zerschlagen, was einer Maschine ähnlich sieht,
um darauf in einem Taumel der Begeisterung Obstbäume
oder eine echte Schildkröte anzubeten. Irgendeine ver-
lauste Nachtigall wird Wunder wirken, indem sie die
alten Lieder von Himmel und Hölle anstimmt!«.....

Es ist im Grunde Rousseaus alte Sehnsucht nach
Natur, nach naturgemäßem Leben und Wirken, nach Er-
lösung von Druck und Qual fesselnder Zivilisation. Und
neben der beklemmenden Großstadtvision einer Stein-
wüste, die das Sein aushöhlt und verzehrt, knechtet und
peitscht, taucht gerade bei den Jungen und Jüngsten wie-
der das lockende Ideal der Natur auf, strotzend und blühend

und sonnenüberglänzt, Land der Träume, Land schwär-
mender Hoffnung. Die Gartenstadt ist nur eine wichtige
Station dieses Weges.. Romantik geistert in diesen Stim-
mungen; gefährlich, weil das Beginnen immer tragisch ist,
der Gegenwart zu entfliehen. Moderne Psychiatrie hat
gezeigt, wie häufig Schwäche und Lebensuntauglichkeit
sich in die wirren Gefilde der Neurose und Hysterie
retten, wenn überhaupt seelische Erkrankung Rettung
bedeuten kann. Nur Gestaltung der Wirklichkeit, Prägung
der Gegenwart im Sinne besserer Zukunft führt zum
Ziele. Aber nicht unwesentlich für diese Zielsetzung
und Zielerreichung waren jene rückwärts gewandten
Strömungen; zwar verspritzender Schaum dort, wo sie
in rührseligen Klagen sich erschöpften, fiuchtbarer An-
trieb aber, wo Kraft zur Tat sich verdichtete......

*

Dies geschah — zum erstenmale im Rahmen der
neuen Kunstbewegung — durch Ruskin und Morris.
Im Namen der Kunst befehdeten sie den Industrialismus
und verlangten »erneute Aufnahme der Handarbeit im
Geiste der mittelalterlichen Zunfttradition«. Liebevoll
hat W.C.Behrendt diese Vorgänge in seinem Buch:
»Der Kampf um den Stil im Kunstgewerbe und in der
Architektur« nachgezeichnet. In der Neugestaltung des
Wohnhauses und in der künstlerischen Durchbildung des
gesamten Gebrauchsgerätes sahen sie ihre eigentliche
Aufgabe. Aber zu jeder Arbeit, die gut geraten soll,
bedarf es der Werkfreude. Sie allein führe zu Verant-
wortungsgefühl und Qualitätshebung. Man wies be-
geistert auf das erhabene Beispiel der Gotik hin, wo alles
war: Inbrunst und Schaffenskraft, Gemeinschaftsbewußt-
sein und Handwerk. Und diesen Geist wollten sie neu
entfachen, den gotischen Menschen — wie das neue
Schlagwort lautete — gegen den Maschinensklaven
einer im Rechnen und Wägen erstickten Zeit.

Morris behauptet, daß Kunst nichts anderes sei, als die
durch den Menschen zum Ausdruck kommende Freude
an der Arbeit. Dann darf aber die Arbeit nicht
»geteilt« sein, denn dadurch werde sie ihres Eigenwertes
beraubt, herabgewürdigt zu sinnlosem Tun. Stets müsse
man darnach streben, die gerade unter den Händen be-
findliche Arbeit besser zu machen als die zuletzt ver-
fertigte. Wer so wirkte, wäre ein Künstler, denn nur
durch ihn können wir »zur Kunst, d. h. unverstümmelten
Zivilisation gelangen« . . Vei geblich war natürlich das
Anstemmen gegen Fabrik und Maschine; aber von weit-
tragender Bedeutung ward die nachdrückliche Betonung
der Handarbeit und der Qualitätsware, das mäch-
tige Ethos der Werkfreude und des kulturellen
Verantwortungs-Gefühls. Denndiehier gestreute
Saat ging auf und es reiften Tendenzen, die heute zur
Macht gelangt sind. Über ihr weiteres Schicksal muß
erst die Zukunft entscheiden.....

Unsere Aufgabe soll es sein, hier wenigstens an-
deutend zu zeigen, nach welchen Richtungen hin jene
Lebensgefühle und Stimmungen sich entfalteten. Wir
dürfen uns mit knappen Umrißlinien begnügen, da es
bloß gilt, die inneren Zusammenhänge zu greifen. Sie
stellen sich wieder in das noch umfassendere Problem
ein: Individuum und Masse, Freiheit und Organisation.
 
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