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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 32.1921

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Tagore, Rabindranath: Die trennenden Mauern
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https://doi.org/10.11588/diglit.10457#0251

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XXXll. JAHRGANG.

DARMSTADT.

AUGUST 1921.

DIE TRENNENDEN MAUERN

von rabindranath tagobe.

Alle modernen Kulturen haben eine Wiege von
i\ Stein und Mörtel . . Solche Mauern hinter-
lassen tiefe Spuren im Geist des Menschen. Sie
prägen uns von vornherein den Grundsatz ein:
»Divide et impera«, sodaß wir uns gewöhnen, alle
unsere Eroberungen dadurch zu sichern, daß wir sie
befestigen und von einander abgrenzen. Wir ziehen
trennende Schranken zwischen Nation und Nation,
Wissenschaft und Wissenschaft, Mensch und
Natur . . Das Abendland ist stolz darauf, daß es
sich die Natur unterwirft; als ob wir in einer
feindlichen Welt lebten, wo wir alles, was wir
brauchen, einer fremden und widerwilligen Ord-
nung der Dinge gewaltsam entreißen müßten.
Dies Gefühl ist die Wirkung der Gewöhnung
und Bildung des Geistes durch die Stadtmauern.
Denn bei dem Leben in der Stadt richtet der
Mensch ganz unwillkürlich sein Augenmerk aus-
schließlich auf sein eigenes Leben und Schaffen,
und dies bewirkt eine Entfremdung zwischen
ihm und der All-Natur, in deren Schoß er liegt.

Der Mensch muß aber seinen Platz im Un-
endlichen erkennen; er muß wissen, daß er,
wie sehr er sich auch abmüht, nie seinen Honig
allein in den Zellen seines Bienen-Stocks hervor-

bringen kann, sondern sich seinen Lebensbedarf
außerhalb ihrer Wände suchen muß. Ohne den
Hintergrund des Alls verliert seine Armut ihre
Würde, sein Reichtum verliert seine Großmut
und ist nur noch verschwenderisch, seine Begier-
den dienen nicht mehr seinem Leben, sie werden
Selbstzweck, wachsen riesengroß und drohend
empor, schleudern die Brandfackel in sein Leben.

Dann geschieht es, daß unser Streben nach
Ausdruck zum Streben nach Effekt wird; die
Kunst hascht nur nach Originalität und verliert die
Wahrheit aus den Augen .. Wenn des Menschen
Bewußtsein sich nur auf die unmittelbare Um-
gebung seines Ichs beschränkt, so können die
tieferen Wurzeln seiner Natur keinen Halt finden.

Dann verliert der Mensch seine innere Per-
spektive und mißt seine Größe nach seinem Um-
fang und nicht nach seinem Lebens-Zusammen-
hang mit dem Unendlichen: er beurteilt seine
Tätigkeit nach dem Grade seiner Bewegung und
nicht nach dem ruhigen Gleichmaß, worin sich
die Vollendung ausdrückt, — der Ruhe, wie sie
der Sternenhimmel hat und der ewig dahin-
gleitende, rhythmische Tanz der Schöpfung, r. t.

(aus: »sadhana, der weg zur Vollendung«, kurt wolff-verlag—münchbn.)

1921. VIII. L
 
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