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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 32.1921

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Jaumann, Anton: Technische Ehrlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.10457#0294

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274

INNEN-DEKORATION

ARCHITEKT HUGO GORGE IN WIEN WOHN- UND ARBEITSZIMMER. NUSSHOLZ

TECHNISCHE EHRLICHKEIT

Die Schulmeister, die Künstler und Kunsthandwerker
wie eine Klasse unreifer Jungen behandelten,
scheinen sich anderen Gebieten zugewandt zu haben,
nachdem sie uns lange genug erklärt haben, was gestattet
und was verboten, was schön und was häßlich ist. Die
Theorien der Materialechtheit, Zweckmäßigkeit, Kon-
struktivität sind auf ihren begrenzten Geltungsbereich
zurückgeführt und an ihrer Stelle das künstlerische
Gefühl wieder in seine Rechte eingesetzt. Nur das
Schlagwort von der »Qualitätsarbeit« übt auf theorie-
begeisterte Köpfe noch eine gewisse Anziehungskraft aus.
Da es aber durch die Reklame für Schnäpse und andere
»edle« Dinge merklich abgenützt wird, muß bald nach
anderen schönen Worten Ausschau gehalten werden.

In dem theoretischen Katechismus, mit dem unser
Kunstgewerbe beglückt wurde, fehlte bisher ein Artikel,
der hiermit, ohne der Sache allzu große Wichtigkeit bei-
zumessen, nachgetragen sei. Nur der Vollständigkeit
halber. Ich meine die technische Ehrlichkeit. Nicht
jene Ehrlichkeit, die uns die Verwendung von Imitationen,
von direkten Täuschungen verbietet. Davon haben wir
übergenug vernommen. Ein Anstrich soll nicht aussehen
wie Maserung, auch nicht wie Patina. Intarsien sollen
wirklich eingelegtes Holz sein. Leichten oder manchmal
auch schweren Herzens haben wir diesen holden Täu-
schungen entsagt. Nur die ganz hartgesottenen Sünder,
die die verachteten, aber einträglichen Massen-Artikel für
das Warenhaus und für den Export liefern, kümmern
sich nicht um unsere Verdikte. Sie pressen Schnitzereien,
bronzieren sie, liefern Maschinenspitzen, die täuschend
wie echte aussehen. Soll man mit ihnen streiten? Sie
behaupten, sie hätten die Technik weiter entwickelt.
Von ihrem Standpunkt aus haben sie sogar Recht. Aber
wir wissen, wie wenig eine solche Fortentwicklung der
Technik geistiger Weise zu bedeuten hat. Anathema 1

Nun gibt es aber auch technische Feinheiten, die un-
mittelbar die Frage des künstlerischen Gefühls berühren.
Für plumpe Rechthaberei bieten sie deshalb keinen An-
halt. Ein Beispiel. Ein Maler habe die Eigenart, seine
Bilder in langgezogenen Pinselstrichen aufzubauen.
Graziöse Umrisse mit einer fließenden Linie nachzu-
ziehen. Bei genauerem Zusehen ergibt sich aber, daß
diese schlanken Striche mühsam, Schritt für Schritt, zu-
sammengepinselt, gestückelt sind. Welche Enttäuschung I
Der Maler hatte offenbar nicht die Sicherheit der Hand,
um die langen Striche flott, in einem Zuge hinzusetzen.
Aber sein ganzes Bild ist auf diesem System der langen
Striche aufgebaut und als solches gut, konsequent durch-
geführt. Es liegt ein technischer Mangel vor, ein Ver-
stoß gegen das Gefühl, der allerdings nur bei Nahbetrach-
tung stört. Oder ein anderer Fall! Ein Glasschrank
ende oben in ein halbrundes Dach. Das sieht aus wie
ein gebogenes Brett, ist durchaus eine gebogene Fläche.
Nähere Betrachtung zeigt aber die Zusammensetzung aus
mehreren, gesägten Stücken. Als Holzarbeit vielleicht
hervorragend gut gemacht, dennoch ein Widerspruch
der Technik mit der Erscheinung. Und wenn wir mal
auf diesen Punkt achten, werden wir solchen Wider-
sprüchen auf Schritt und Tritt begegnen. Schnitzerei
zeigt ihre Entstehung aus einzelnen kurzen Schnitten
äußerst selten. Selbst wenn geschliffen wird, wäre es
möglich, wenigstens durch die Komposition, die Gesamt-
auffassung diese Entstehung durchblicken zu lassen.
Voluten und Schnecken in Stein sind für Barock im
höchsten Grade kennzeichnend, d. h. sie sind im Grunde
ein Stuckmotiv. In Ziegeln mühsam geschichtet und aus-
gehauen oder aus Granitblöcken gemeißelt müssen sie,
wenn mit Materialgefühl betrachtet, oft lächerlich er-
scheinen. Haben die alten Meister kein Empfinden ge-
habt für das Material? Stein läßt sich doch nicht rollen
 
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