Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 32.1921

DOI Artikel:
Muth, H.: Der Osten in unserer Möbel-Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10457#0373

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DEKORATION

345

MM

VOLKS-KUNST-HAUS J. WALLACH-MÜNCHEN WESTFÄLISCHE DIELE IM HAUSE J. WALLACH

DER OSTEN IN UNSERER MOBEL-KUNST.

Die Zeiten ändern sich. Wir merken das niemals
deutlicher, als wenn wir ein und dasselbe Objekt
von verschiedenen Epochen beurteilt sehen. Da zeigt
sich, wieviel Entfliehendes in unseren Urteilen, Bewer-
tungen, Einstellungen vorhanden ist. Goethe fand es im
Jahre 1827 »ganz hübsch, daß Madame Pankoucke in
Paris ein chinesisches Zimmer hat«. Aber, fügte er
hinzu, »sein Wohnzimmer mit so fremder und veralteter
Umgebung auszustaffieren, kann ich gar nicht loben«.
Und er gibt dann im Anschlüsse daran seinen Bedenken
gegen die Spielerei mit historischen und exotischen
Stilen Ausdruck; Bedenken, die beim Auftreten der
kunstgewerblichen Neuform hundert- und tausendmal
wiederholt worden sind. Heute sehen wir nun — und
nicht erst seit heute, sondern seit Jahrzehnten — den
Orient auf allen Wegen in unser europäisches Geistes-
leben eindringen. In die Kunst, wo Impressionismus und
Expressionismus viele Anregungen aus ihm nahmen, bis
zu den neuesten Skulpturen, die voll Ägypten und Asien
stecken. Im Denken, das Laotse, Buddha, Konfuzius bei
uns fast so heimisch gemacht hat, wie es Shakespeare
in der Dichtung ist. Und zuguterletzt in der Möbel-
und der neuesten Tapeten-Kunst, die das »Chinoi-
sierende« in allen Spielarten bewußt zu pflegen beginnt.

Nein, der Orient ist für uns nicht mehr in dem Sinne
»fremd« wie er es für Goethe war. Ein ganzes Jahr-
hundert einfühlender Erforschung des Fremden und Ver-
gangenen liegt zwischen ihm und uns. Wir nehmen den
Orient hin als einen hübschen, modischen Reiz, der uns
nach Jahrzehnten der Üb« flutung mit orientalischer
Keramik und Kunstindustrie bereits recht vertraut ge-
worden ist. Wir machen freilich auch nicht »chinesisch«,
wie wir vor 30 oder 40 Jahren gotisch, Renaissance und
später Biedermeier gemacht haben. Wir sind durch
dreißig Jahre moderner Stil-Entwicklung vorsichtiger,
wissender und selbstbewußter geworden. Wir erfassen
das Wesen aller Gestaltungen schärfer als zuvor. Wir
haben unendlich viel gelernt in der Verwertung des Form-
gutes entlegener Zeiten und Zonen. Ein fester Grund-
bestandteil eigener, europäischer Form bleibt unangetastet.
Wir lassen den Orient nur vorsichtig hineinspielen, um
gleichsam den exotischen Duft zu schmecken. Wir geben
unseren Formen einen Duft von China oder Indien, indem
wir etwa dieMöbelstützen nach chinesischer Ar t schweifen
oder eine Füllung im Stil chinesischer Holzarbeit be-
schnitzen. Es ist ein ähnlicher Vorgang, wie er sich in
der Damen-Mode vollzieht, wenn diese ein exotisches
Element aufnimmt, etwa den Turban oder den Shawl.
 
Annotationen