Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 32.1921

DOI Artikel:
Haberlandt, A.: Gedanken über Volkskunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10457#0375

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DEKORÄTION

347

volkskunst-haus j. wallach-münchen friesische stube im haus wallach

GEDANKEN UBER VOLKSKUNST.

Volkskunst: das ist die Kunst derer, die ihre Kräfte
und ihr Können aus der Geistigkeit, den Quellen und
Uberlieferungen des angestammten volksmäßigen Daseins
schöpfen. . . Wer ernsthaft nach einer für alle leben-
digen Kunst des Volkes sucht, der wird in der Volks-
kunst ein Wegweiser auch für den schaffenden Künstler
sehen. Wo der Künstler und sein Werk durch Schule
oder Uberlieferung oder durch eigene Kraft über diesen
Kreis emporgehoben oder ihm entfremdet wird, da ge-
hören sie beide nicht mehr der Volkskunst . . Der Inhalt
der Volkskunst ist der Lebenskreis des Volkes, aus dem
sie ihn zieht, und von dem sich auch die besten Leistungen
kaum merklich entfernen. All der farbige und sinnige
Aufwand des Hausrats, das Holzschnitzwerk, die bunte
Hafner-Ware, der Farbenglanz der Trachten und Sticke-
reien, ist echtes und unverwüstliches Kunst-Gut. Volks-
kunst ist allemal sinngemäße Schöpfung, ist Kultur-
Gut. Wer zu den tiefsten Quellen der Künstlerschaft
der Menschheit steigen will, der muß an die Volkskunst
rühren, sie wird ihm schlicht und unverfälscht Rede stehn..

Eindrucksvolle Reiz-Zustände, der gesteigerte Spiel-
trieb der Erinnerung nach angestrengter körperlicher und
gedanklicher Spannung sind die Wurzeln der Ausdrucks-
formen der Volkskunst. Die Volkskunst nährt sich in
weitem Maße von dem Wurzelstamm technologisch um-
schriebener Arbeit. In Hausfleiß, Hausgewerbe und

Handwerk quillt ein technisch ebenso streng umschrie-
bener wie in sich wandlungsfähiger Reichtum von Zier-
formen. Auch Ableger aus dem höheren Bereich der
Kunst treiben gerade auf diesem Boden besonders kräftige
Wurzeln. Es ist ungemein reizvoll, solchen Vorbildern
nachzuspüren, noch mehr aber sagen uns die volkstüm-
lichen Umformungen selbst . . Als eines der wertvollsten
positiven Merkmale der freigestaltenden Volkskunst ist
die Echtheit des Wirklichkeits-Sinnes festzustellen.
Kunst ist hier Lebensbedürfnis und Spiegel des Lebens,
immer persönlich in Ursprung und Absichten .. Das Volk
verziert wohl nach persönlichem Willen jedes Sächelchen,
jedes Stück Habe, an dem sein Herz hängt, aber es ver-
langt durch Menschenalter hindurch oft nichts Neues
dabei. Darin hat es seinen eigenen, gemessenen Pendel-
schwung. Daher sein Zurückbleiben in älteren Stilen, die
Vermengung von Stilen, das Nahebleiben den Urstufen
künstlerischer Entfaltung.. Die volkskünstlerische Arbeit
ist gewiß nicht die Blüte der Kunst selbst, aber sie ist
Schoß, Stamm, aus dem höhere Künstlerschaft steigt,
nicht im äußerlichen Wirken, sondern im stillen Wachs-
tum der inneren künstlerischen Anlagen. Sie ist Wald-
boden, überwuchert vom Moos alter Überlieferung, der
zäh Tropfen um Tropfen frischer künstlerischer Ahnung
aufnimmt, um sie lauter und rein als kräftigen Quell
wieder zu Tage treten zu lassen......a. haberlandt.
 
Annotationen