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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 32.1921

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Die Form und das Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.10457#0406

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386

INNEN-DEKORATION

ARCH1T : PFEIFER & GROSSMANN. BILDHAUER BING MAJOLIKA. AUSF: MANUFAKTUR-KARLSRUHE

DIE FORM UN

Imöstlichen Garten, zur Dämmerzeit unterm Mangobaum,
nahe am Pavillon begann der weise Jfi-Tschu zu erzählen:
Am Südufer des Han- Flusses wohnte ein Gelehrter,
dessen Name durch alle Provinzen erklang. Was er
sprach, war wie von den Geistern gesprochen, er besaß
die Kenntnisse des Yang und Ym und er hatte schon zwei
Menschenleben hinter sich gebracht, weil der Tod keinen
Irrtum oder Schaden an seiner Weisheit fand, wo er hätte
in sein Leben eindringen können . . Er hatte eine junge
Frau, die war sehr schön und sehr klug. Die Blumen
neigten sich vor ihr, wenn sie vorüberging, und setzte sie
sich unter den Mangobaum in der Tiefe des Gartens, so
senkten sich die Zweige um sie her und beschirmten sie
mit einem Baldachin . . Dem Gelehrten aber, wenn er
die Vergänglichkeit dieser schönen Form betrachtete,
ward bang im Herzen. Er zählte die Abendröten, die
über sein schönes Weib hinglänzten, die Mondwechsel
und die Jahre, er sah die Stunde voraus, wo Ver-
welkung in sein Haus kommen würde, um seinen kost-
barsten Besitz zu stehlen. Er fragte sich: »Wo ist
Dauer?« Sie ist in der Weisheit, — sagte sein Herz.
Aber da mußte er lächeln, denn Weisheit ist den Männern
vorbehalten und sie kann nicht bewahren, was des Weibes
Reiz und Wert ausmacht. Da sah er eines Abends, wie
so oft, den Tod am Gitter des Gartens vorübergehen

D DAS LEBEN.

und sehnsüchtig nach seinem Fenster blicken. Er rief
ihn an und sprach: »Du da, Du weißt doch die Dinge fest-
zumachen, daß sie nicht veralten. Bei dir ist alles gleich
und bleibt, wie es Dir zufiel. Willst Du über diese Frau
wachen, daß die schleichende Zerstörung, das Leben in
ihr stille steht? Willst Du die Form bewahren, dieses
hohe Werk der Himmlischen, daß die Sterblichen sich
daran aufrichten und den Sinn des Lebens daran er-
kennen?« . . Der Tod neigte sich und sagte: »Meister,
wie Du gesagt hast, soll es geschehen. Ich will einen
Schlaf auf sie legen, daß Leben und Zerstörung in ihr
abkühlen. Es muß still in ihr werden, daß sie fromm wird
wie ein Bild, Untertan dem Gesetz; ich will sie mit dieser
Form heimholen in eine strenge Dauer, so wird statt ihres
Mundes und ihrer Augen, statt ihres Herzens und ihrer
Seele die edle Form allein zu reden fortfahren, bis die
Kaiserreiche vergehen und die Pfirsichbäume das alljähr-
liche Blühen verlernen. Denn Du hast wahr gesagt, diese
Form ist sehr schön, und eines mächtigen Wächters wert«.

Sommer und Winter lang und viele Frühlinge hin-
durch lag fortan die Dame auf einem Prunkbett, und der
Tod stand ihr zu Häupten und gab acht, daß die edle
Form auskühlte und blieb. Die Augen hatte sie ge-
schlossen, nichts regte sich an ihr. Aber die schönen
Linien ihres Körpers sagten unaufhörlich von der Würde
 
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