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1NNEN-DEKORATION
ARCHITEKT JEAN KRAMER—BERLIN-SCHÖNEBERG
NISCHE IM HERRENZIMMER HAUS B.—WANNSEE
ZIMMER IN DER DÄMMERUNG.
VON ANTON SCHNACK.
Diese Stunde — manchmal ist sie um sieben, manch-
mal um acht oder schon tiefer vorangeschritten, um
neun — in der Du inmitten ihrer amethystenen Schön-
heit und Weichheit irgendwo in Deinem Zimmer sitzt,
das Dich scheidet von den zerstörenden Bestürzungen
des Menschen und seiner Äußerungen und das Du ge-
schmückt und gefüllt hast mit Büchern, die Dich regieren,
Bildern, die Dich in die Tiefe des Herzens treffen, Pup-
pen, die Deine Geheimnisse wissen, diese Stunde ist die
Stunde des großen Glückes und der Beseligung.....
*
Es ist die Stunde, die Dir die Seele und Einfalt der
Dinge Deines Raumes erschließt. Es ist die Stunde, da
die Dinge aus ihrer Kühlheit, Dinglichkeit und Bezieh-
ungslosigkeit in ein lebendiges, warmes und zartes Leben
eintreten, in der sie Teile sind Deines Wesens, Körper
Deines Blutes, nahe Freunde und Vertraute. Es ist die
Stunde, wo Dein Zimmer zur tiefen und erlösenden
Heimat wird, aber auch zur großen, fassungslosen und
funkelnden Welt und Weite, — zum Garten und zur
Landschaft, in die Deine Seele ausfährt mit blauen Segeln,
um aus der Einsamkeit ihres geschlossenen und umhülsten
Da-Seins in das Vielfältige der Dinge zu wachsen. . . .
Du weißt: dort bauen sich die Wände und Mauern
Deiner Bücher auf, angefüllt mit Geist, mit Sehnsucht,
Spott, Hochmut, Feierlichkeit, mit Stärke, Wahrheit und
Orgelklang. Du siehst sie kaum, aber sie halten Dir den
Glanz ungeheueren und großen Lebens entgegen. Du
fühlst den Atem Deiner Lieblinge: Huysmans, in diesem
ausgeschleuderten Zwielicht, in den Schleiern der stei-
genden und fallenden Dunkelheit glüht er wie ein magi-
sches, schwermütiges Auge aus mystischer Schwärze.
Von dort strömt der hesperische Harfenschlag Hölder-
linischer Oden Dir entgegen. Das zerstörte Antlitz Hans
Jägers neigt sich Dir mit schmerzlicher Barmherzigkeit
entgegen. Aus den obersten Regalen schmettern die Fan-
faren der Stendhal'schen Renaissance-Novellen. Andreas
Ady bestürmt Dich mit dem Purpur seiner Gedichte. . .
*
>';' Die Bilder Deiner Geliebten: Mädchen, mit denen
Du durch die Veilchen- und Löwenzahn-Felder Deiner
Kindheit gingst, Frauen, deren farbiges Alt Dich ent-
zückte, treten wie Sterne aus den Rahmen, Blondheit
beweht Dich, ihr Schwarz verebbt wie eine fromme
Nacht. Und die Allerletzte, die Gütigste, Ma, wird Dir
zur Erscheinung des Engels . . Die Puppen: Geschenke,
Tändeleien, kokette Dämchen und schlotternde Hans-
wurste, was werden sie ? Freundinnen, Mütter, Geliebte,
Kameraden und gute Menschen, denen Du, von Melan-
cholien bedrückt, von Spannungen zerrissen, die Geheim-
nisse Deines Herzens zuflüsterst. Deine Seele gibt ihnen
Seele, einen Teil Deiner sehnsüchtigen schmalen Seele,
1NNEN-DEKORATION
ARCHITEKT JEAN KRAMER—BERLIN-SCHÖNEBERG
NISCHE IM HERRENZIMMER HAUS B.—WANNSEE
ZIMMER IN DER DÄMMERUNG.
VON ANTON SCHNACK.
Diese Stunde — manchmal ist sie um sieben, manch-
mal um acht oder schon tiefer vorangeschritten, um
neun — in der Du inmitten ihrer amethystenen Schön-
heit und Weichheit irgendwo in Deinem Zimmer sitzt,
das Dich scheidet von den zerstörenden Bestürzungen
des Menschen und seiner Äußerungen und das Du ge-
schmückt und gefüllt hast mit Büchern, die Dich regieren,
Bildern, die Dich in die Tiefe des Herzens treffen, Pup-
pen, die Deine Geheimnisse wissen, diese Stunde ist die
Stunde des großen Glückes und der Beseligung.....
*
Es ist die Stunde, die Dir die Seele und Einfalt der
Dinge Deines Raumes erschließt. Es ist die Stunde, da
die Dinge aus ihrer Kühlheit, Dinglichkeit und Bezieh-
ungslosigkeit in ein lebendiges, warmes und zartes Leben
eintreten, in der sie Teile sind Deines Wesens, Körper
Deines Blutes, nahe Freunde und Vertraute. Es ist die
Stunde, wo Dein Zimmer zur tiefen und erlösenden
Heimat wird, aber auch zur großen, fassungslosen und
funkelnden Welt und Weite, — zum Garten und zur
Landschaft, in die Deine Seele ausfährt mit blauen Segeln,
um aus der Einsamkeit ihres geschlossenen und umhülsten
Da-Seins in das Vielfältige der Dinge zu wachsen. . . .
Du weißt: dort bauen sich die Wände und Mauern
Deiner Bücher auf, angefüllt mit Geist, mit Sehnsucht,
Spott, Hochmut, Feierlichkeit, mit Stärke, Wahrheit und
Orgelklang. Du siehst sie kaum, aber sie halten Dir den
Glanz ungeheueren und großen Lebens entgegen. Du
fühlst den Atem Deiner Lieblinge: Huysmans, in diesem
ausgeschleuderten Zwielicht, in den Schleiern der stei-
genden und fallenden Dunkelheit glüht er wie ein magi-
sches, schwermütiges Auge aus mystischer Schwärze.
Von dort strömt der hesperische Harfenschlag Hölder-
linischer Oden Dir entgegen. Das zerstörte Antlitz Hans
Jägers neigt sich Dir mit schmerzlicher Barmherzigkeit
entgegen. Aus den obersten Regalen schmettern die Fan-
faren der Stendhal'schen Renaissance-Novellen. Andreas
Ady bestürmt Dich mit dem Purpur seiner Gedichte. . .
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>';' Die Bilder Deiner Geliebten: Mädchen, mit denen
Du durch die Veilchen- und Löwenzahn-Felder Deiner
Kindheit gingst, Frauen, deren farbiges Alt Dich ent-
zückte, treten wie Sterne aus den Rahmen, Blondheit
beweht Dich, ihr Schwarz verebbt wie eine fromme
Nacht. Und die Allerletzte, die Gütigste, Ma, wird Dir
zur Erscheinung des Engels . . Die Puppen: Geschenke,
Tändeleien, kokette Dämchen und schlotternde Hans-
wurste, was werden sie ? Freundinnen, Mütter, Geliebte,
Kameraden und gute Menschen, denen Du, von Melan-
cholien bedrückt, von Spannungen zerrissen, die Geheim-
nisse Deines Herzens zuflüsterst. Deine Seele gibt ihnen
Seele, einen Teil Deiner sehnsüchtigen schmalen Seele,