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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 33.1922

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Das Erleben der Dinge
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https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0237

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INN EN-DEKORATION

225

ÖSTERREICHISCHER WERKBUND —WIEN

LEDERTASCHEN: L.GABOR. AUSF: W.MELZER

DAS ERLEBEN DER DINGE

das leben ist dem künstler ein traum

Es gibt wohl keinen Dichter, der feinfühliger, tief-
schürfender, aus tiefstem Wissen heraus die großen
und kleinen Dinge dieser Welt erlebte und lieben
lehrte als Hans Christian Andersen. »Es gibt nieman-
den in der ganzen weiten Welt« — erzählt der Dichter
in seinen Märchen, »der soviele Geschichten weiß als
Ole Luk-Oie«. Wenn die Kinder schlafen, setzt sich
Ole Luk-Oie auf ihr Bett. »Hör einmal«, sagte Ole Luk-
Oie am Abend, als er Hjalmar zu Bett gebracht hatte :
»nun werde ich aufputzen«. »Und da wurden alle Blu-
men in den Blumentöpfen zu großen Bäumen, welche
ihre langen Zweige unter der Zimmerdecke und längs
den Wänden ausstreckten, sodaß die ganze Stube wie
ein prächtiges Lusthaus aussah; und alle Zweige waren
voller Blumen und jede Blume war noch schöner als eine
Rose«. . . Ein andermal berührte Ole Luk-Oie mit seiner
kleinen Zauberspritze alle Möbel in der Stube. »Und
sogleich fingen sie an zu plaudern, und allesamt sprachen
sie von sich selbst, — mit Ausnahme des Spucknapfes,
welcher stumm dastand und sich darüber ärgerte, daß sie
so eitel sein konnten, nur von sich selbst zu reden, nur
an sich selbst zu denken«. . . Uber der Kommode hing
ein großes Gemälde: »Da begannen die Vögel darauf
zu singen, die Baumzweige bewegten sich, und die Wolken
zogen ordentlich weiter; man konnte ihren Schatten über
die Landschaft hingleiten sehen. Ole Luk-Oie hob den
kleinen Hjalmar zu dem Rahmen empor und stellte seine
Füße in das Gemälde, gerade in das hohe Gras. Er lief
zum Wasser, setzte sich in ein kleines Boot.. und »segelte
durch Wälder, bald durch große Säle, oder mitten durch
eine große Stadt . . Er kam auch durch die, in welcher
sein Kindermädchen wohnte, welches ihn getragen hatte,
da er noch ein ganz kleiner Knabe war, und das ihm
immer so gut gewesen« . . Am Sonnabend spannt Ole
Luk-Oie seinen schönsten Regenschirm über Hjalmar auf:
»Betrachte nun diesen Chinesen«! Und der ganze Regen-
schirm sah aus, wie eine große chinesische Schale

mit blauen Bäumen und spitzen Brücken und mit kleinen
Chinesen darauf, die dastanden und mit dem Kopfe
nickten. »Wir müssen die ganze Welt zu morgen schön
aufgeputzt haben«, sagte Ole Luk-Oie; »es ist ja dann
ein Feiertag, es ist Sonntag. Ich will nach den Kirch-
türmen hin, um zu sehen, ob die kleinen Kirchenkobolde
die Glocken polieren, damit sie hübsch klingen; ich will
hinaus auf das Feld und sehen, ob die Winde den Staub
von Gras und Blätter blasen; und was die größte Arbeit
ist, ich will alle Sterne herunterholen, um sie zu polieren«.

»Hören Sie, wissen Sie was, Herr Ole Luk-Oie I«
sagte ein altes Portrait, welches an der Wand hing,
wo Hjalmar schlief, »ich bin Hjalmars Urgroßvater; ich
danke Ihnen, daß Sie dem Knaben Geschichten erzählen,
aber sie müssen seine Begriffe nicht verdrehen. Die
Sterne können nicht heruntergenommen und poliert
werden! Die Sterne sind Weltkugeln, ebenso wie unsere
Erde, und das ist gerade das Gute an ihnen«. »Ich danke
Dir, Du alter Urgroßvater«! sagte Ole Luk-Oie, »ich
danke Dir! Du bist ja das Haupt der Familie, du bist
das Urhaupt; aber ich bin doch älter als Du! ich bin ein
alter Heide; Römer und Griechen nannten mich den
Traumgott! Ich bin in die vornehmsten Häuser ge-
kommen und komme noch dahin! Ich weiß sowohl mit
Geringen wie mit Großen umzugehen!. . Nun kannst Du
erzählen!« — Und da ging Ole Luke-Oie und nahm
seinen Regenschirm mit . . »Nun, nun! Man darf wohl
gar seine Meinung nicht mehr sagen!« brummte das alte

Portrait . . Und da erwachte Hjalmar«.......i.D.

¥

KUNST U. ERLEBNIS. Dem Künstler, der mit
sensiblem Sinne das neue Weltgefühl in sich aufge-
nommen hat, ist es vorbehalten, dem Schönheits-Empfin-
den eine neue, zeitentsprechende Richtung zu geben, in-
dem er zum Entdecker neuer Inhaltswerte wird, die
dem in neue Lebensbedingungen gedrängten Menschen
neue Erlebnis-Quellen erschließen . . paul Schettler.

im vi. i.
 
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