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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923

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Karow, Otto: Von der Stil-Bildung: Einzelseele und Kollektiv-Ausdruck
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https://doi.org/10.11588/diglit.10459#0315

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294

INNEN-DEKORATION

ARCHITEKT WILHELM KELLER—BERLIN

BLICK INS WOHNZIMMER. HAUS ST.-WESTEND

VON DER STIL-BILDUNG

EINZELSEELE UND KOLLEKTIV-AUSDRUCK

Betrachtet man Kunst-Werke, so kann man zum Beispiel
in der »Abgeklärtheit« der Formen, in dem »Eben-
maß« vieler Werke einen vollendeten Kunst-Ausdruck
sehen. Anderen Werken aber fehlen häufig gerade solche
Eigenschaften ganz oder teilweise, wohingegen seelische,
bezw. Gefühls-Werte in ihnen stärkeren Ausdruck finden.
Will man als »Kunst« nur jenes Ebenmaß oder nur den
rein seelischen Ausdruckswert gelten lassen, dann hat
man eine »zweifache« Kunst. Wir möchten jedoch an-
nehmen, daß erst die Verbindung der beiden Dinge,
das Sich-Durch-Ringen des Ausdruckes zum Rhythmus
und Ebenmaß vollendete Kunstwerke möglich macht . .

*

Andrerseits erscheint es denkbar, daß der psycho-
logische Gehalt, — sei es zum Gegensatz, sei es zum
Ausdruck von Charakter - Eigenschaften und Empfin-
dungen aller Art, — gelegentlich von Rhythmus und
Ebenmaß fortstrebt. Gelangt ein seelischer Zustand des
Künstlers in an sich »häßlichen« Werken zu vollendetem
Ausdruck, so werden wir immerhin durch sie in den
Bannkreis seines Wesens gezogen, der Respekt einflößt
und sogar zu einer gewissen Ehrfurcht anregen mag, wie
wir ja, nach der Lehre Goethes von den »drei Ehr-
furchten«, Ehrfurcht haben sollen: nicht nur vor dem,

was über uns, sondern auch vor dem, was uns gleich oder
gar unter uns ist. So wenig aber Goethe meint, daß die
Ehrfurcht vor dem Niederen uns abhalten soll, nach
dem Höheren zu streben, ebensowenig wird der geistig
Hochstehende in dem zwar Seelisch-Starken, aber häß-
lichen und rohen Form-Ausdruck je sein Ideal erblicken
können. Dazu kommt, daß die übertriebene Sucht nach
dem »nur Persönlichen« in ein Rätselraten ausarten muß.

*

Denn was ist unbeständiger als die menschliche Seele,
und wie müßte unsere Kunst aussehen, die alle ihre
Regungen verkörpern wollte?. Mag man sich das einiger-
maßen in Malerei und Plastik vorstellen können, nimmer-
mehr aber in der Architektur, den Innenräumen und an
den Möbeln! Hier hat die »Allgemeinheit« ihre Rechte,
und demgemäß treten jene psychologischen Werte in den
Vordergrund, die nicht so sehr die Gefühle des »Ein-
zelnen« als vielmehr den »Kollektiv-Ausdruck« der
Volksgemeinschaft widerspiegeln. Und dann erst kann
ein allgemeineres Verständnis und eine Anteilnahme
des Volkes beginnen. Hier ist die Schwelle, die allein
zum Phänomen des »Stils« führt und zugleich den
Zusammenhang von Kunst und Kultur bezeichnet.

OTTO KAROW, (aus »wbrkkunst«. VerlagWilhelm ernst * söhn—Berlin),
 
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