Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 35.1924

DOI Artikel:
Hölderlin, Friedrich: Mensch und Welt: Worte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11736#0130

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DEKORATION

MENSCH UND WELT

worte von friedrich hoelderlin

Das ist das Maß der Begeisterung, das jedem einzelnen
gegeben ist, daß der eine bei größerem, der andere
nur bei schwächerem Feuer die Besinnung noch im nö-
tigen Grade behält. Da wo die Nüchternheit dich ver-
läßt, da ist die Grenze deiner Begeisterung.......

*

Nur das ist die wahrste Wahrheit, in der auch der
Irrtum, weil sie ihn im Ganzen ihres Systems an seine
Zeit und Stelle setzt, zur Wahrheit wird. Sie ist das
Licht, das sich selber und auch die Nacht erleuchtet.
Das ist ewige Heiterkeit, ist Gottesfreude, daß man alles
Einzelne in die Stelle des Ganzen setzt, wohin es gehört.

*

Das tiefe Gefühl der Sterblichkeit, des Veränderns,
der zeitlichen Beschränkungen entflammt den Menschen,
daß er viel versucht, übt alle seine Kräfte und läßt ihn
nicht in Müßiggang geraten; und man ringt solange um
Chimären, bis sich endlich wieder etwas Wahres und
Reelles findet zur Erkenntnis und Beschäftigung. In guten
Zeiten gibt es selten Schwärmer. Aber wenns dem Men-
schen an großen reinen Gegenständen fehlt, dann schafft er
irgend ein Phantom aus dem und jenem und drückt die Au-
gen zu, daß er dafür sich interessieren kann und dafürleben.

*

Aus Freude mußt du das Reine überhaupt, die Men-
schen und andern Wesen verstehen, alles Wesentliche
auffassen und alle Verhältnisse nacheinander erkennen.
Der Verstand, der bloß aus Not kommt, ist immer ein-
seitig, schief. Dahingegen die Liebe gerne zart entdeckt
und nichts übersehen mag, und wo sie sogenannte Irren
oder Fehler findet, das Ganze nur desto inniger fühlt
und anschaut. Deswegen sollte alles Erkennen vom

Studium des Schönen anfangen. Denn der hat viel ge-
wonnen, der das Leben verstehen kann, ohne zu trauern..
Meist haben sich Dichter zu Anfang oder zu Ende einer
Weltperiode gebildet. Mit Gesang steigen die Völ-
ker aus dem Himmel ihrer Kindheit ins tätige Leben,
ins Land der Kultur. Mit Gesang kehren sie zurück ins
ursprüngliche Leben. Die Kunst ist der Ubergang aus
der Natur zur Bildung und aus der Bildung zur Natur.

*

Es kommt alles darauf an, daß die Vortrefflicheren das
Inferiore, die Schöneren das Barbarische nicht zu sehr von
sich ausschließen, — sich aber auch nicht zu sehr damit
vermischen; daß sie die Distanz, die zwischen ihnen und
den andern ist, bestimmt und leidenschaftlos erkennen
und aus dieser Erkenntnis wirken und dulden......

Vortreffliche Menschen müssen auch wissen, das sie
es sind, und sich wohl unterscheiden von allen, die unter
ihnen sind. Eine zu große Bescheidenheit hat oft die
edelsten Naturen zugrunde gerichtet, wenn sie ihrer
größeren und feineren Gesinnungen sich schämten und
meinten, sie müßten der ungezogenen Menge sich gleich
stellen. Freilich wird man auf der andern Seite leicht
zu stolz und hart und hält zu viel von sich selbst und von
den andern zu wenig. Aber wir haben in uns ein Urbild
alles Schönen, dem kein Einzelner gleicht. Vor diesem
wird der echt vortreffliche Mensch sich beugen und De-
mut lernen, die er in der Welt verlernt. . . . hoelderlin.

*

VOLLENDUNG. Einzel-Sein zeugt Höher-Sein.
Der Vollendete ist einzeln und wird Vorbild der Ge-
meinschaft. Unzufrieden mit sich selbst wird er ausge-
zeichnet. Wunschlos für sich wird er unantastbar, laotse.
 
Annotationen