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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 35.1924

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Simmel, Georg: Einzelmensch und Gesellschaft: vom "Kollektiven" und "Individuellen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11736#0201

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INNEN-DEKORATION

PROFESSOR BRUNO PAUL —BERLIN KREDENZ. AUS FO.HRG: ZOO-WERKSTATTEN

EINZELMENSCH UND GESELLSCHAFT

VOM »KOLLEKTIVEN« UND »INDIVIDUELLEN«

Wer aus einem Bekanntenkreis von etwa dreißig Seilschaft«, — selbst in einer an sich bedeutenden und
Personen immer je einen oder zwei einlädt, mag erfreulichen, oft als eine leise Taktlosigkeit empfindet,
»gar keine Umstände machen«. Lädt er aber alle dreißig Der Mensch ist nie bloßes »Kollektiv«-Wesen, — wie
zu gleicher Zeit ein, so entstehen sofort ganz neue An- er nie bloßes »Individual«-Wesen ist. In jedem Men-
sprüche in Bezug auf Essen, Trinken, Toilette, Formen sehen besteht gleichsam eine unveränderliche Propor-
des Benehmens, ein außerordentlich gesteigerter Auf- tion zwischen dem Individuellen und dem Sozialen, die
wand nach der Seite des sinnlich Reizvollen und Genieß- nur die Form wechselt. . Je enger der Kreis ist, an den
baren. Das ist ein sehr reines Beispiel dafür, wie erheb- wir uns hingeben, desto weniger Freiheit besitzen wir;
lieh das bloße »Masse-Bilden« das Niveau der Person- dafür aber ist dieser Kreis selbst etwas Individuelles,
lichkeiten senkt. .In einem Zusammensein ganz Weniger scheidet sich, — eben weil er ein kleiner ist, — mit
ist eine derartige gegenseitige Anpassung möglich, die scharfer Begrenzung gegen die Übrigen ab. Und ent-
Gemeinsamkeiten, die den Inhalt ihrer Geselligkeiten sprechend: erweitert sich der Kreis, in dem wir uns be-
ausmachen, können so umfassende oder so hoch gelegene tätigen und dem unsere Interessen gelten, so ist darin mehr
Teile ihrer Individualitäten einschließen, daß das Bei- Spielraum für die Entwicklung unserer Individualität,
sammen den Charakter der Geistigkeit, der differenzierten aber als Teile dieses Ganzen haben wir weniger Eigenart,

und hochentwickelten seelischen Energien trägt..... diese letztere ist als soziale Gruppe weniger individuell.

Je mehr Personen aber zusammen kommen, desto Innerhalb eines engen Kreises kann man in der Regel
geringer wird die Wahrscheinlichkeit, daß sie in jenen die Individualität nur auf zweierlei Weise bewahren: ent-
wertvolleren und intimeren Wesens-Seiten zusammen- weder indem man ihn »führt«, oder indem man nur
treffen, desto »tiefer« muß der Punkt gesucht werden, äußerlich in ihm existiert, im Wesentlichen aber sich von
der ihren Antrieben und Interessen gemeinsam ist . . ihm unabhängig stellt. Der Einzelne vermag sich gegen
Denn alle höheren und feineren Ausbildungen sind in- die Gesamtheit nicht zu retten; nur indem er einen Teil
dividueller Art und eignen sich nicht zu Gemeinsam- seines absoluten Ich an ein paar andere aufgibt, sich mit
keits-Inhalten . . Es ist deshalb ein soziologisch durchaus ihnen enger zusammenschließt, kann er noch das Ge-
richtiger Instinkt, wenn man das bemerklichere Hervor- fühl der Individualität und zwar ohne übertriebenes Ab-
tretenlassen der persönlicheren Individualität in einer »Ge- schließen, ohne Bitterkeit und Absonderlichkeit wahren.
 
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