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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 35.1924

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Ritter, Heinrich: Das Ererbte und die Gegenwart: "Erwirb es, um es zu besitzen!"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11736#0403

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INNEN-DEKORATION

171

DAS ERERBTE UND DIE GEGENWART

»ERWIRB ES, UM ES ZU BESITZEN!«

Eine Hauptfrage für den in geschichtlichen Zusammen-
hängen lebenden Menschen ist immer die: Wie »ver-
halte ich mich zu der kulturellen Erbmasse, die mir zu-
gefallen ist?« . Denn Erbmasse ist nicht nur ein Zuwachs
an Besitz, sondern auch eine Belastung. Sie kann bei
richtigem Gebrauch eine Lebensmehrung sein, sie kann
sich andererseits auswachsen zu einer Bedrohung alles
eigenwüchsigen, persönlich freien Lebens. Von hier aus
setzen die futuristischen Gedankengänge an, die das Heil
in einer geflissentlichen »Verneinung« der kulturellen
Erbmasse erblicken. Sie suchen durch eine Art geistiger
Vernichtung des ererbten Besitzes dem Menschen des
Heute seine paradiesische, schöpferische Unschuld und
Urkraft zu sichern . . Dieser Ausweg ist jedoch ein Aus-
weg der Selbst-Täuschung und der Lebensfremdheit 1
Vergangenheit läßt sich nicht beseitigen. Selbst wenn
alle Museen, Bibliotheken, alle Zeugnisse alten Kunst-
Fleißes der vergangenen Jahrhunderte verschwänden:
in uns selbst bliebe die Erbmasse dennoch bestehenI
Das wahre Problem, das jedes neue Geschlecht seinem
Erbe gegenüber zu lösen hat, ist vielmehr das: »Wie
lerne ich das Ererbte frei und souverän gebrauchen?« .
Nicht die Tatsache, daß wir »Enkel« sind, belastet uns.

Als »Last« wirkt das Überkommene nur dann, wenn die
schöpferische Kraft, die Eigenwärme unseres Lebens sich
mindert. Eine Last wurde das Historische für die Kunst-
Entwicklung des 19 Jahrhunderts, weil es auf unleben-
dige, trocken-buchstäbliche Weise aufgefaßt ward von
einem schwachen Geschlecht, das diesen alten Besitz
nicht in einen belebten, schöpferischen Zusammenhang
hineinzuziehen wußte. Nicht die deutsche Renaissance
ist schuld daran, daß unsere Architektur und der Innen-
Ausbau in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts
so schwächlich kopistisch geartet waren, sondern das
mangelnde Eigenleben jener Zeit, die Abwesenheit
aktueller Formkräfte. Nicht im Gebrauch und in der
Anerkennung des Vergangenen liegt die zu fliehende
Gefahr, sondern in der unterwürfigen Scheu und Ängst-
lichkeit, die das Vergangene als starren Kanon auffaßt
und sich ihm gegenüber nur leidend, rezeptiv verhält.

Die deutsche Romantik war es, die die künstlerische
und geistige Vergangenheit unseres Volkes wieder auf-
gerufen und mitten in unseren Tag gestellt hat. Keinen
Augenblick aber hat die echte, alte Romantik daran ge-
dacht, durch das Vergangene etwa die schöpferische
Lebens-Betätigung der Gegenwart zu erdrücken. Im
 
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