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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 35.1924

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Eppardt, H. von: Mode und Zivilisation: Entwicklung zum Gesellschaftlichen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11736#0497

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INNEN-DEKORATION

217

ARCHITEKT DIPL.-ING. OTTO F1RLE —BERLIN WANDLEUCHTER IM SCHLAF-ZIMMER U. BOUDOIR

MODE UND ZIVILISATION

ENTWICKLUNG ZUM GESELLSCHAFTLICHEN

Die Nationalökonomen sind wunderliche Leute. Klagt
mir neulich einer, daß er mit Sorge die Zunahme
des Mode-Aufwandes verfolge. »Sorgen habe ich, sagte
er, schwere Sorgen. War ich da gestern beim Rennen.
Man weiß ja seit langem, daß es dort immer eine große
Modeschau gibt. Ich habe mich keineswegs gestoßen an
dem Luxus der Damen, die gleich erkennen lassen, daß
sie ein farbiges und kostbares Schauspiel geben wollen
mit dem wichtigen Zweck, durch Formung des Typs
»Dame« die Augen zu erfreuen, die Begriffe zu be-
stimmen, die Ansprüche hoch zuhalten. Das ist, wie
gesagt, längst bekannt, es mag auch gut und notwendig
sein. Aber ich sah mir die Tausende an, die mir so als
harmlose Zuschauer und Spaziergänger erschienen waren.
Man weiß ja, daß sie alle sich einschränken müssen. Aber
jeder hat wenigstens so viel, daß er sich den vorgeschrie-
benen Hut, die zulässige Anzugform, die Schuhe,
Strümpfe, Handschuhe des Tages leisten kann. Dasselbe
Bild in den Straßen, im Cafe, im Theater und Konzert.
Verstehen Sie: ich spreche davon, daß jeder heute das
Muß der Mode empfindet und anerkennt, daß er sich
ihm beugt, selbst unter Entbehrungen. Sie nicken. Herr,
wir sind ein armes Volk. Dem Einzelnen können wir in
seine Wirtschaft nicht hineinreden. Ich weiß nur, daß
das Volk als Ganzes sich die Ausgaben, von denen hier
die Rede ist, nicht leisten kann. Ich bin der Meinung,
daß diese plötzlich mit Gewalt ausbrechende Bereitschaft,

einer anspruchsvollen Mode nachzugeben, in diesem
Augenblick wohl zu schlimmen Folgen führen muß.«
Ich erwiderte: »Ich bin ein Mann der geistigen Arbeit
und also anscheinend in denkbar weite Ferne vom Bezirk
der Mode und ihrer Triebkräfte gerückt. Aber ich be-
kenne Ihnen, daß ich großes Interesse an der Begünstig-
ung jener Entwicklung habe, die Ihnen ökonomisch so
gefährlich scheint. Denn bedenken Sie: Diese wach-
sende Bereitschaft, das »Gesetz der Mode« mit Ihren
Launen und unwirtschaftlichen Sprüngen anzuerkennen,
bedeutet eine Entwicklung zum Gesellschaftlichen, zur
Zivilisation. Es ist eine Abkehr von dem schlechten
Individualismus. Wer sich verpflichtet fühlt, den Hut
des Tages zu tragen, der braucht zwar durchaus kein
wertvolles Individuum zu sein. Aber mindestens bekundet
er, daß er sich »mit andern verbunden« weiß und daß
er zu ihnen gehören will. Der Schwerpunkt liegt auf
dem »Bekunden«. Nicht daß Gemeingefühle vorhanden
sind, ist das Entscheidende, sondern daß sie ausge-
drückt und dargestellt werden. Denn nur so entsteht
Gesellschaft, nur so entsteht Zivilisation. Wir haben in
Deutschland keine »Gesellschaft«, und wer sich einmal
klar gemacht hat, wie tief der Wesensmangel, der u. a.
das Aufkommen einer deutschen Gesellschaft verhindert
hat, mit ernsten Schäden verbunden ist, der wird sich
nur freuen können über jeden Volksgenossen, der gesell-
schaftliche Forderungen als verpflichtend empfindet.

1924. VII. 8*
 
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