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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 35.1924

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Geron, Heinrich: Zum neuen Stil: das Abnorme und die Norm
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https://doi.org/10.11588/diglit.11736#0716

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ZUM NEUEN STIL

DAS ABNORME UND DIE NORM

Stil in der vornehmsten Bedeutung des Wortes meint
»Zeitform«, den formsprachlichen Ausdruck einer
Epoche, der von einer einsinnigen, allgemein gültigen
Kulturidee getragen und gezeugt ist. Moderner Stil ist
zunächst ein Problem, vielen ein Traum und eine Hoff-
nung, den heute lebenden Baukünstlern scheint er eine
große, fast nicht zu bewältigende Aufgabe. Und diese
Aufgabe ist darum fast nicht zu bewältigen, weil bei uns
in Europa die Stil-Tradition mit dem Ausläufer des
Empire, dem sogenannten Biedermeier aufgehört hat.
Und die ganze Sache ist deshalb sosehr Problem, weil
eine Epoche sehr wohl ohne ihren eigenen Stilausdruck
auskommen kann einerseits, andererseits, weil zwischen
den beiden Begriffen, »keinen Stil haben« und »stillos

sein« ein himmelweiter Unterschied ist.........

Bei uns in Deutschland vollzieht sich seit Anfang des
Jahrhunderts eine Klärung und Verfestigung des Zeitgei-
stes in formlichen Dingen, im letzten Jahrzehnt wurde sie
allerdings sehr gestört durch die ungünstigen äußeren
Verhältnisse, die fast alle schöpferischen Architekten auf
den unfruchtbaren Strand der »Theorie« warfen .. »Man
muß zugeben«, schrieb in dieser Zeit ein Kenner zu
dieser Sache, »in architektonischen Dingen wird heute
toll spekuliert. Die meisten möchten mit Gewalt originell
sein, vergessen aber den Wert jahrhundertlang erprobter
Wohnbräuche; andere haben es sich zu Herzen ge-
nommen, daß Architektur gefrorene Musik sei, und rasen

sich in phantastischen Gebäude-Tumulten und Stein-
harmonien — natürlich nur auf Papier — aus. Eine dritte
Gruppe strebt eine Art bauliche Individual-Gotik an; sie
will im Gegensatz zur »Gotik« der Gründerjahre, die
bei der echten Gotik den Formenschatz entlieh, sich den
gotischen Baugeist ausborgen, — vergessend, daß dieser
kein Individualitäts-, sondern ein Zeitgeist und unzitier-
bar ist, und gleichwohl nicht wissend, daß eine geistige
Macht, die sich einmal formal zu Ende gelebt hat, nie
wieder in derselben Erscheinungshaftigkeit in Aktion tritt.
Wieder andere sind einfache Eklektizisten: sie bedenken
nicht, daß das antike Erbe nun dreimal verbraucht ist,
daß zur Formenüppigkeit des indischen Baustils die tro-
pische Umwelt gehört, oder daß eine Pyramide selbst
in Ägypten nur einbalsamierten Königs-Mumien zum
Wohnen gedient hat. Wieder andere, — solche, die um
jeden Preis neu sein wollen, wären bereit, den »Rotun-
dismus« zu starten oder eiförmige Häuser zu erfinden,
— so, als ob man beliebig von vorne anfangen könnte.
Deren Gegner, eigentlich Ingenieure, beten die Schön-
heit des Rein-Konstruktiven an. Andere sind auf den
Begriff Farbe gestoßen, und lieben — in der Imagi-
nation — den Effekt bunt gestrichener Betonklötze sehr.
Andere glauben, daß eine willkürliche Verwendung
neuer Materialien die Baukunst fördere und träumen
Paläste, Kuppeln und ganze Städte aus Massivglas. Die
letzten gehen zur großen Lehrmeisterin Natur, sie sehen
 
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