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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 35.1924

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Gedanken über Architektur
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Worringer, Wilhelm: Labilität - Stabilität
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https://doi.org/10.11588/diglit.11736#0898

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398

INNEN-DEKO RATION

Das Spirituelle des byzantinischen wie des orienta-
lischen Raumes überhaupt ist der Geist in seiner abso-
luten »Ruhe«. Alle Raumeinheiten werden auf einen
zentralen Punkt, der wohl schwebend, aber sich in ab-
soluter Ruhe verhält, bezogen. Der orientalische Geist
ist in ewiger Meditation. Alle orientalische Mystik ist
»kontemplativ«, — alle deutsche Mystik aber höchst
»aktiv«. Der deutsche Raum ist das architekturale
»panta rhei« des Heraklit. Das Optische des deutschen
Raumes liegt nicht in ruhiger Bildhaftigkeit, vielmehr in
ewiger Bewegtheit; dahinter steht die innere Erregtheit
der deutschen Raumphantasie, die einmal nur verhaltene
Spannung, das andere Mal freiströmend sich über alles
ergießt, den Raum mit rhythmischen Pulsationen erfüllend.
Das optische Erlebnis wird zur Vision der Raumbewegung.

Orientalische Raumkunst ist Geist in absoluter Ruhe,
italienische Raumkunst ist Körper in absoluter Ruhe,
Deutsche Raumkunst ist Geist in absoluter Bewegung ..
Man kann das ewige Kreisen, die rastlose Bewegung als
Gleichnis faustischer Sehnsucht des auf seinem Schaffens-
und Erkenntniswege nimmer ruhenden nordischen Men-
schen begreifen, als ein unendliches Werden« . . . s.

L AB I L1TÄT- STAB I LITÄT

Warum kam noch niemand auf den Gedanken, eine
griechische Schriftseite neben eine Seite voll
gotischer Minuskeln zu stellen? Es gäbe eine nach-
denklich machende Überraschung, zu sehen, wie diese
Schriften sich insgeheim ins Einvernehmen setzen gegen-
über dem starren Geiste lateinischer Antiqua. . . Die
griechische Plastik ist nicht stabil, — sie bleibt immer
an der unfaßbaren Grenze von Wunder und Gesetz, von
Bestimmtheit und Unbestimmtheit, von Sein und Wer-
den, von Stabilität und Labilität. Erst die Römer sind
mit festen Eimern an die ewige Flüssigkeit der Dinge
nerangegangen und haben sie eingeschlossen in das Ge-
wahrsam fester, unveränderlicher Form. Erst sie haben
eine Plastik geschaffen, die gleichbedeutend ist mit einer
Unbedingtheit des Seins. Erst sie haben das Weltbild
stabilisiert, statuarisiert... Aber es bleibt ihr anderes Ge-
sicht: sie haben die Musik der alten Welt zum Schweigen
gebracht, den wundervoll undeutbaren Schwebezustand
griechischen Welt-Erlebens in eine schwunglose Klarheit
und Festigkeit gebracht. Wilhelm worringer (»pipbfbote«).
 
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